SWR3 Gedanken
Ein ganz normaler Dienstagmorgen: Nach dem Frühstück - zwei Brote und ein großer Kaffee - fahre ich zur Arbeit. Man kann diese Alltäglichkeit aber auch so erzählen: Auf meinem Frühstücktisch liegt ein Brot, das ich nur deshalb genießen kann, weil der Bäckereifachverkäufer aus Marokko es mir gestern Abend in der Filiale um die Ecke verkauft hat. Den Weg zur Arbeit wiederum passiere ich nur deshalb ohne Stau, weil hier endlich die Brückenschäden behoben wurden - und das haben vor allem Männer aus Osteuropa fertiggebracht - im Schweiße ihres Angesichts. Nachdem meine Tankanzeige rot blinkt, fülle ich meinen Tank auf und bezahle bei einer jungen Frau, die aus Portugal ins Rheinland gezogen ist und hier neben ihrem Studium in der Frühschicht jobbt. Und als ich den Parkplatz unseres Büros ansteuere, biegt neben mir die mobile Sozialstation auf den Hof der alten Nachbarin. Am Steuer sitzt eine Krankenpflegerin, die 2015 aus Eritrea nach Deutschland geflüchtet ist. Mit ihrer Hilfe kann die Nachbarin aus dem Pflegebett aufstehen und mir nachher, wenn ich wieder zum nächsten Termin fahre, aus dem Fenster zuwinken.
Klar ist: Wenn Menschen wie in Mannheim oder Solingen anderen Menschen Gewalt antun, sie sogar umbringen, dann ist das absolut inakzeptabel und kriminell. Und muss bestraft werden. Klar ist aber auch: In unserem Land würden viele Menschen nicht gepflegt, viele Straßen nicht gebaut und wir würden im wahrsten Sinne des Wortes auch vieles nicht mehr „gebacken“ bekommen - ohne unsere Migrantinnen und Migranten. Und ich wünsche mir, dass wir in der aktuell so aufgeheizten Stimmung nicht verlernen zu differenzieren: Zwischen Menschen, die in ihrem Hass gestoppt werden müssen. Und Menschen, die selbst vor Hass und Terror in ihrer Heimat fliehen mussten. Und weiterhin Hilfe brauchen. Für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind viele von ihnen längst eine kaum ersetzbare Hilfe. Und als Christ steht für mich fest: Jeder Mensch, egal wo er herkommt, welche Hautfarbe er hat und an was er glaubt - ist ein einmaliges Geschöpf Gottes. Die Würde unantastbar.
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