Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Seit es die Trinkhalme aus Pappe gibt, habe ich ein Problem. Grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass Trinkhalme, wenn man schon welche braucht, nicht mehr aus Plastik sind. Aber Halme aus Pappe verursachen bei mir Gänsehaut. Dieses stumpfe Gefühl an den Lippen. Ist übrigens das gleiche, wenn ich in einen Pfirsich beiße – diese pelzige Haut. Keine Ahnung, ob ich damit allein auf der Welt bin. Ich habe das noch nie so richtig jemanden gefragt.
So wie sich bei mir der Strohhalm und der Pfirsich an den Lippen anfühlen, vermute ich, dass jeder Mensch Reize, die er über den Tastsinn wahrnimmt, sehr unterschiedlich empfindet.
Ich sitze bei Felix. Er liegt schon länger im Krankenhaus. Inzwischen geht’s ihm besser. Felix hatte wirklich schlechte Zeiten. „Weißt du, was mich am meisten genervt hat die ganze Zeit?“, sagt er, „Dass alle, egal ob ich die Leute kannte oder nicht, meine Hand genommen und gehalten haben. Als wäre das so ein Reflex, dass man einem Kranken die Hand hält.“
Ich werde ein bisschen rot: Denn als ich reinkam, habe ich auch unwillkürlich seine Hand gegriffen. Und ich ahne, was er meint. Es ist ein weites Feld mit den Sinnen und wie sie funktionieren. Wir tun gut daran, sensibel für das zu sein, was wir so selbstverständlich tun, was andere aber vielleicht als übergriffig empfinden.
In der Bibel wird von Elia erzählt. Er ist im Auftrag Gottes unterwegs und das ist nicht immer leicht. Als dieser Prophet Elia sich unter einen Busch in der Wüste verkriecht und er zwischen Todesangst und Trotz schwankt, besucht ihn ein Engel. „Er rührt ihn an“ steht da. Ich habe mir immer vorgestellt, dass der Engel Elia mit der Hand berührt hat. Vielleicht tat er auch etwas ganz anderes. Das scheint nicht wichtig zu sein. Wichtig ist: Elia steht auf und geht seinen Weg.
Manchmal habe ich Gänsehaut, wenn ich mir vorstelle, wie viel Kraft eine Begegnung hat. Und das ist eine andere Gänsehaut als beim Strohhalm aus Pappe.
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