Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

08NOV2024
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Der November ist für Familien mit kleinen Kindern der schlimmste Monat, findet Karo. Wenn das Wetter zu mies wird und sie die Kinder nicht einfach zum Spielen rausscheuchen kann. Aber fürs Plätzchenbacken ist es noch zu früh. Und andauernd nur Basteln mit den Kids – das hält ja keiner aus.

Also hat Karo ihren Kindern einen Besuch im Schwimmbad versprochen. Während sie in der großen Kommode nach den Badesachen sucht, verflucht sie sich selbst dafür. Sie hat wenig Lust auf den Chlorgeruch und die Umzieherei. Das Bespaßen der Kinder im Nichtschwimmerbecken, das elende Haareföhnen hinterher. Aber die Kinder freuen sich drauf. Was tut man nicht alles. Karo greift nach der bunten Strandtasche. Die hat sie nach dem Sommerurlaub schnell in der Schublade verstaut – da müssten die Taucherbrillen der Kinder noch drin sein. Sie öffnet die Tasche und findet ein kleines Sammelsurium: Nicht nur die Taucherbrillen, auch noch eine fast leere Flasche Sonnenmilch, ein paar Muscheln, die die Kinder am Strand gesammelt haben. Und Sand. Der Duft der Sonnenmilch steigt ihr in die Nase.

Und sofort hat Karo den Strand vor Augen. Wie sie auf ihrem Handtuch liegt, die Füße im warmen Sand. Wie ihr Mann mit den Kindern im Wasser herumspringt. Karo nimmt eine Muschel in die Hand, befühlt ihre sandigen Rillen, riecht den salzigen Meergeruch. Und hört wieder das Rauschen des Meeres. Sie denkt daran, wie das Meer sie immer beruhigt. Die Weite, der beständige Wechsel von Ebbe und Flut, das gleichmäßige Rauschen. Am Meer fühlt sie sich immer verbunden mit dem, was größer ist als sie, und ihre Alltagssorgen werden ganz klein. Am Meer spürt sie etwas von der Ewigkeit, in der ihre eigene Zeit eingebettet ist. Die Kinder drängeln, sie wollen endlich los. Karo nimmt die Taucherbrillen und stopft die Strandtasche samt Sonnenmilch und Sand wieder in die Schublade. Aber die Muschel steckt sie in ihre Hosentasche. Ihre kleine Erinnerung an das weite Meer. An das Ewige. Das beständig bleibt im Wechsel der Zeiten. Das immer da ist, auch jetzt. Und auf sie wartet.

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