Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
„Wiedersehn macht Freude!“, hat mein Vater immer zu den Nachbarn gesagt. Immer dann, wenn die sich bei ihm die Heckenschere oder die große Wasserwaage ausgeliehen haben. Ausleihen und wiederbringen gehören eben zusammen.
Zurückgeben ist doch selbstverständlich – und zwar: sobald wie möglich. Und bitte auch unbeschädigt. So sind die Regeln beim Verleihen nun mal. Ich habe bei unserem letzten Umzug ein Buch gefunden, das ich mir mal ausgeliehen habe. Es gehört Renate. Wir haben zusammen studiert. Das ist jetzt 45 Jahre her. Sie war damals mit Hans Gerd zusammen.
Das weiß ich noch. Was ich nicht mehr weiß, ist, warum ich das Buch nie zurückgegeben habe. Es handelt übrigens von der Körpersprache. Was es über uns aussagt, wie wir uns geben und bewegen. Was es über mich aussagt, dass ich das ausgeliehene Buch nicht -wie es sich gehört hätte- der Besitzerin zurückgebracht habe, will ich gar nicht weiter wissen.
Ich schäme mich jedenfalls. „Wiedersehn macht Freude!“, hör ich meinen Vater sagen. Das „Zurückbekommen“ versteht sich einfach von selbst. Ich kenne eigentlich nur eine Sache, die Jesus einmal ausgeliehen wurde, bei der niemand davon ausgehen konnte, dass es da zu einer Rückgabe kommt. Ich meine das Grab. Das Felsengrab, in das Jesus gelegt wurde. Das hat ihm damals ein gewisser Josef von Arimathia ausgeliehen. Es war ja seins. Er hatte es sich gerade frisch in den Felsen meißeln lassen. Und da ist Jesus gestorben. Und der Grabbesitzer hat es ihm kurz entschlossen ausgeliehen. Dass er es zurückgeben wird, ist nicht zu erwarten. Nur Gottes unfassbare Art und Weise, das Leben über das Grab hinaus wachsen zu lassen, bis in den Himmel hinein, hat dazu geführt, dass das geliehene Grab tatsächlich wieder zurückgegeben werden konnte. „Wiedersehn macht Freude!“
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