Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18OKT2024
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Ein unachtsamer Augenblick und meine Lieblingstasse fällt auf den Boden und zerbricht. Traurig hebe ich die Scherben auf. Es sind nicht viele und es sieht so aus, als könnte ich sie wieder reparieren.

In Japan gibt es eine alte Reparaturmethode: Kintsugi. Die Japaner werfen eine zerbrochene Tasse nicht einfach weg, denn für sie steckt Geschichte darin. Also wird sie aufwendig zusammengefügt und ihre Risse werden mit Gold verziert. Kintsugi bedeutet nämlich Goldverbindung.

Ich klebe meine Tasse und überlege, ob ich ihre Risse nicht auch golden verziere… Manchmal geht’s mir nämlich genau so wie meiner Tasse: Irgendwas Blödes passiert und ein Teil von mir zerbricht oder ist beschädigt. Wie wenn beispielsweise eine Freundschaft einen Bruch erlebt. Es gibt Scherben, weil etwas kaputt gegangen ist. Und das tut weh. Da sind vielleicht Worte und Taten gewesen, die mich oder den anderen verletzt haben. Oder sogar Dinge, die jemand gerade nicht getan hat. Dass ich für eine Freundin in einer schwierigen Lebensphase nicht so dagewesen bin, wie sie es gebraucht hätte. Weil ich nicht gemerkt habe, wie wichtig es gewesen wäre, dass ich sie begleite. Aber alles gleich wegwerfen?

Oder doch kitten? Ich kann versuchen mit der Person zu reden oder mich aufrichtig zu entschuldigen. Aber das ist anstrengend und nicht leicht. Auch braucht es Zeit. Und selbst wenn wir wieder zueinander finden, macht es das, was geschehen ist, nicht rückgängig. Risse bleiben sichtbar und erinnern mich auch später noch daran. Aber sie erinnern mich eben auch an das Gemeinsame und Schöne. Nicht umsonst tut der Riss auch weh. Er macht mir klar, dass mir die Person wirklich wichtig ist.

Und genau da taucht Gott für mich immer wieder auf. Er sieht, was zerbrochen ist. Und er ermutigt mich dazu, es nicht wegzuschmeißen. („Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind und verbindet ihre Wunden“ heißt es im Psalm 147.) Er gibt mir den nötigen Anstoß, dass ich es schaffe, auf jemanden wieder zuzugehen. Damit wir wieder zueinander finden können. Das braucht Zeit und wir müssen viel miteinander reden.

Wenn es uns jedoch gelingt, kann es unsere Freundschaft stärken, sie vielleicht sogar vergolden. Weil wir dazugewonnen haben. Weil die Risse ein wertvoller Teil unserer Freundschaft und unseres Miteinanders geworden sind. Meine Tasse ist mir jetzt nicht so wichtig, wie meine Freundin, aber ja, ich werde ihre Risse mit Gold verzieren. Denn Risse gehören zu meinem Leben dazu. Sie sind keineswegs perfekt, aber ich kann mich mit ihnen versöhnen.

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