Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
In den letzten Monaten habe ich fast jeden Tag ein Pflaster in der Hand gehabt. Warum? Wegen meiner dreijährigen Tochter. Sie ist hingefallen, hat sich eine kleine Schramme geholt oder einfach nur angestoßen und zack, ein Pflaster musste her. Allerdings: Notwendig war das Pflaster nie. Denn es sind wirklich nur kleine Kratzer gewesen. Meiner Tochter ist das egal gewesen, sie wollte unbedingt ein Pflaster und hat nicht mit sich reden lassen.
Mich hat das richtig genervt, aber mir ist auch etwas aufgefallen: Sobald das Pflaster auf dem Kratzer klebt, ist der Schmerz schon wieder vergessen.
Es ist für mich nicht logisch gewesen. Deshalb habe ich versucht mich in meine Dreijährige hineinzuversetzen, um zu verstehen was da los ist. Denn Kinder handeln nicht grundlos. Meine Tochter verlangt ja nicht ein Pflaster, nur um mich damit zu ärgern. Dahinter steckt was Anderes. Etwa: Mama, sieh mal, was ich jetzt schon alles allein kann. Mama? Ich glaube, das geht mir doch alles zu schnell und ich brauche noch Trost und Halt.
Natürlich sagt sie das nicht, aber ich habe den Eindruck, das sind dann die Momente, in denen sie auf mich zu gerannt kommt, mir freudig etwas erzählen will und im letzten Moment stolpert sie. Und mir ist klar: Jetzt braucht sie Trost. Aber nur in den Arm nehmen, das reicht ihr nicht mehr aus. Schließlich will sie selbstständig unterwegs sein und sich nicht verkriechen. Sie weiß noch nicht, wie sie mit ihren Wehwehchen allein umgehen soll.
Ein Pflaster gibt ihr da nicht nur Zuspruch, dass sie wieder heile wird. Sondern es erinnert sie auch immer wieder daran, dass da wirklich jemand da gewesen ist, der ihr geholfen hat. Kinder müssen immer wieder sichtbar daran erinnert werden, habe ich den Eindruck, damit sie ihre Wehwehchen besser verarbeiten können. Wenn sie den Kratzer nicht sehen, denken sie auch nicht daran, wie es passiert ist und wie weh es tut. Viel wichtiger ist ihnen dann, wie das Pflaster aussieht und von wem es kommt.
Durch das Pflaster weiß meine Tochter: Mama ist dagewesen. Sie hat sich um mich gekümmert und mich versorgt.
Inzwischen ist es zum Glück besser geworden. Wir benutzen Pflaster nur noch, wenn meine Tochter wirklich blutet. Geholfen hat einfach, dass ich ihre Schrammen und Kratzer nicht klein geredet habe, sondern sie ernst genommen habe.
Als Erwachsenen finde ich es ja auch gut, wenn jemand für mich da ist. Wenn ich krank bin und mich dann jemand besucht oder mir ne Kleinigkeit vorbeischickt. Zu spüren und zu sehen, da ist jemand für mich da, wenn es mir schlecht geht, ist ein wunderbares Geschenk, das ich deshalb auch gerne weiterverschenke.
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