SWR1 3vor8
Bei euch aber soll es nicht so sein. Hinter diesen Satz aus dem heutigen Sonntagsevangelium setze ich ein Ausrufezeichen. Weil ich ihn für die vielleicht wichtigste grundsätzliche Forderung halte, die Jesus überhaupt ausgesprochen hat. Bei euch, die ihr zu mir gehört, die ihr euch auf mich beruft, bei euch soll es nicht so sein. Wie soll es nicht sein? Das sagt er einen Satz zuvor. Und den zitiere ich auch noch, weil er an Deutlichkeit ebenfalls nichts zu wünschen übriglässt: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein! Es geht also um die Einstellung zur Macht, genauer: wie man mit den Menschen umgeht, die einem anvertraut sind. Solche „Macht“ gibt es überall: in der Politik, im Berufsleben, in der Schule, in der Familie, in einer Partnerschaft. Die Rollen können zwar wechseln, aber fast immer ist einer der Stärkere. Der oder die kann dann seine Macht ausspielen, kann sie sich zum eigenen Vorteil nutzen. Oder eben nicht. Und exakt das verlangt Jesus. Christen sollen ihre Macht, ihren Einfluss über andere nicht missbrauchen. Darin sollen sie sich ausdrücklich unterscheiden, daran soll man erkennen, dass sie Christen sind und zu Jesus gehören wollen.
Es gibt viele Möglichkeiten, das in die Tat umzusetzen, dieses christliche Anders-Sein. Wenn ein Mensch krank wird, bleibt er Mensch. Und zwar mit aller Würde, die ihm prinzipiell zusteht. Er wird nicht weniger Mensch, weil er nicht mehr allein laufen kann oder aus eigener Kraft seinen Haushalt bewältigt. Im Gegenteil. Je schwächer ein Mensch wird, desto mehr Hilfe verdient er wegen seiner Würde, die unantastbar bleibt. Das zu betonen und sich entsprechend einem Kranken, einem Schwächeren gegenüber zu verhalten, das macht den Unterschied. Als Christ überlasse ich niemanden seinem Schicksal, sondern kümmere mich, wenn ich sehe, dass einer des Lebens müde ist.
Gleichgültig, anonym, ja argwöhnisch – so ist das Zusammenleben unter uns oft. Bei euch soll es nicht so sein, sagt Jesus. Macht es anders. Diese Unterschiede werden andere bemerken, zumal wenn Menschen, die zur Kirche gehören, dabei gemeinsam anpacken. Dann klärt sich auch die Frage, ob Religion und Glauben heutzutage noch einen Wert haben, von ganz allein.
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