SWR4 Feiertagsgedanken

03OKT2024
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Zum zweiten Mal hintereinander richtet ein Küstenland den Tag der deutschen Einheit aus. Im letzten Jahr Hamburg. In diesem Mecklenburg-Vorpommern. Und das spiegelt sich auch in den Mottos. Horizonte öffnen, hieß es letztes Jahr. Vereint Segel setzen in diesem. Das passt gut zusammen, finde ich.

Wenn ich etwa am Strand der Nordsee sitze und aufs Meer hinausschaue, dann kann ich ihn sehen. Weit draußen. Den Horizont. Da, wo das Meer scheinbar aufhört und der Himmel beginnt, wo sich Erde und Himmel begegnen. Im Urlaub an der See könnte ich manchmal stundenlang nur dasitzen und mir dieses Bild anschauen.

Und natürlich kommt mir Udo Lindenberg in den Sinn. Wenn er davon singt, dass es hinterm Horizont weitergeht. Seine Ballade, fast 40 Jahre alt, ist ein echter Klassiker. Geschrieben hat er sie damals als Hommage an eine enge Freundin, die viel zu früh gestorben ist. Und so eine Freundschaft, die hört nicht einfach so auf, meint der Song. Auch nicht mit dem Tod. Dem ultimativen Horizont jedes irdischen Lebens.

Und ein Horizont, der sich öffnet, kann dann so ein Bild sein für eine Hoffnung, die Menschen haben. So, wie im Song von Udo Lindenberg. Dass es irgendwie weitergeht. Und dass diese Linie, die ich da in weiter Ferne sehen kann, eben nicht das Ende markiert. Auch nicht das Ende des Lebens. Dass es deshalb auch nie gut ist, den Kopf hängen zu lassen, Frust zu schieben und zu sagen: „Es hat doch alles keinen Sinn“.

Die Bibel kennt etliche von solchen Geschichten. Von Menschen, die sich nicht damit zufriedengeben wollten, dass es irgendwie nicht weitergeht. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, aufgebrochen sind. Allein oder gemeinsam. Oft, ohne zu wissen, was sie erwartet. Aber in der Überzeugung, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Da ist zum Beispiel Abraham. Die heiligen Schriften von Juden, Christen und Muslimen erzählen von ihm. Von Abraham heißt es, dass Gott eines Tages zu ihm spricht und ihm sagt, er solle aufbrechen. Land, Heimat, Verwandtschaft. Alles soll er zurücklassen. Aufbrechen in ein unbekanntes Land, das Gott ihm erst noch zeigen will. Abraham macht sich tatsächlich auf. Lässt alles hinter sich und zieht einfach los. Im Vertrauen darauf, dass die Sache gut ausgehen wird.

Oder da sind die Freunde von Jesus, die sich erstmal im Haus einschließen, nachdem ihr Meister nicht mehr bei ihnen ist. Angst haben sie, wissen nicht, wie es nun weitergehen könnte. Und dann fassen sie plötzlich neuen Mut, machen Fenster und Türen auf und gehen zusammen raus. Vereint in der Hoffnung, dass es weitergeht. Für sie und für die Botschaft Jesu.

 

34 Jahre jung ist die Deutsche Einheit heute. Im besten Alter eigentlich. An die Bilder kann ich mich noch gut erinnern. Ich selbst war damals 28 und was war das für eine Aufbruchsstimmung? Was für Hoffnungen haben sich da verbunden mit der Zukunft? Nicht nur im Osten war das so. Auch bei ganz vielen Menschen hier im Westen. Sicher, wie immer bei den ganz großen Hoffnungen war manches davon wohl naiv. Manche Wünsche haben der komplizierten Wirklichkeit am Ende schlicht nicht standgehalten. Und dennoch, das ist mein Eindruck, ist ganz viel geschafft worden. Eine riesige gemeinsame Kraftanstrengung. Vereint in der Hoffnung, dass es gelingen kann.

Heute kommt es mir manchmal so vor, als ob viele Menschen zwar den Horizont sehen, aber eher ängstlich dahin blicken. Vielleicht, weil sie Zweifel haben, ob es dahinter wirklich weitergeht oder nicht eher das Ende der Welt lauert. Von wegen „vereint Segel setzen“. Manche Skepsis kann ich sogar verstehen. Weil ich hin und wieder auch dieses Gefühl habe, dass die vielen Krisen mich überfordern. Weil die Welt so unübersichtlich geworden ist wie selten zuvor und ich selbst kaum noch mitkomme. Und weil die Zuversicht, die mal da war, dass es immer weiter vorwärts gehen wird, ziemlich brüchig geworden ist.

Manchmal hilft mir da ein Blick auf junge Leute, etwa meine Töchter. Die sehen schon ziemlich deutlich, was los ist. Für sie ist aber auch klar, dass sich was ändern muss. In der Art etwa, wie wir in Zukunft leben werden. Und sie wissen, dass Wohlstand, Frieden und Freiheit längst keine Selbstläufer mehr sind. Dass es auch an ihnen liegt, etwas dafür zu tun. Aber sie motzen und jammern nicht viel rum, sondern engagieren sich. Sozial und politisch und vereint mit anderen. In der festen Zuversicht, dass es hinterm Horizont weitergeht. Irgendwie. Wohl anders als bisher. Aber weiter.

Besonders fromm ist übrigens keine und keiner der jungen Leute, die ich kenne. Auch meine Töchter nicht. Aber als Christ kann ich trotzdem an ihnen sehen, was es heißen kann, aus dem Geist der Bibel zu leben. Aus dem Geist der Hoffnung, dass es eine gute Zukunft geben kann, auch wenn ich sie jetzt noch nicht kenne. Und dass es sich immer lohnt, mich für diese Zukunft zu engagieren. Auch heute, hier und jetzt. Mit dem, was mir möglich ist. Und dann ist der Horizont auch nicht das Ende der Welt, sondern eben jene Linie, an der die Erde den Himmel berührt.

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