Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05OKT2024
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In der Innenstadt von Baden-Baden standen mir auf einmal drei große Tafeln im Weg. Oben drüber ganz groß – wie eine Überschrift: „Bevor ich sterbe möchte ich – Punkt, Punkt, Punkt.“ Und drunter ganz viele Linien und ein Kästchen, in dem bunte Kreide lag. Passanten konnten mit der Kreide die freien Linien beschriften, und haben das auch ganz eifrig getan.

Dieses Kunstprojekt stammt von der US-Amerikanerin Candy Chang. In vielen Städten auf der ganzen Welt hat sie diese Tafeln schon aufgestellt und die Menschen dazu angeregt nachzudenken - über den Tod und damit auch über das Leben.

Wie kommt eine Künstlerin auf so eine Idee? Candy Chang hatte das Thema Tod nie so richtig auf dem Schirm - bis ganz plötzlich ein guter Freund von ihr gestorben ist. Das hat sie umgehauen. Und dann hat sie damit angefangen, diesen Tod auf ihre ganz spezielle Weise zu verdauen. Mit Kunst. Genauer gesagt: mit öffentlicher Kunst zum Mitmachen.

Die erste Tafel hat Candy Chang in New Orleans in ihrer Nachbarschaft aufgehängt und mit Schablone den Satzanfang „Before I die …“ draufgesprüht. Dann hat sie gewartet, was passieren würde. Die Idee ist aufgegangen: Nachbarn und Passanten haben die Aufforderung verstanden und munter drauf los geschrieben. Aus den Tafeln sind so richtige Kunstwerke entstanden. Und als es sich herumgesprochen hatte, sind Menschen von überall her gekommen, um mit bunter Kreide aufzuschreiben, was sie sich wünschen, wovon sie träumen oder was sie sich noch erhoffen.

Auch auf den Tafeln in Baden-Baden hat es funktioniert. Viele Passanten haben zur Kreide gegriffen und den Satz vervollständigt. Da steht zum Beispiel: Bevor ich sterbe möchte ich…

… anpflanzen ohne Ende

… meine eigene Geige gebaut haben

… Uroma werden

… mit Lisa die Welt erkunden

… beim Isle of Man Rennen mitmachen

… aus einem Flugzeug springen (mit Fallschirm)

… einen Tag ohne Schmerzen sein

… verstehen, warum ich hier bin

Das finde ich bemerkenswert: Candy Chang wollte eigentlich nur den Tod ihres Freundes verstehen und verkraften. Dabei hat sie massenhaft Menschen dazu angeregt, über den Tod und letztlich auch über das Leben nachzudenken. Mich übrigens auch. Denn vor so einer Tafel fragst du dich automatisch: Was ist mir im Leben besonders wichtig? 

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