SWR Kultur Wort zum Tag

30SEP2024
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Simon Morris hat mir auf Facebook eine Freundschaftsanfrage geschickt. Er lebt in einem der mittleren US-Bundesstaaten und ist geschieden. Sein Profilbild zeigt einen Mann in den besten Jahren: Silbergraue Schläfen, durchtrainierter Körper, Hochglanzlächeln. Viel mehr gibt er nicht von sich preis. Ach ja, er schreibt noch, dass er zufällig auf mein Profil gestoßen ist, mich ganz bezaubernd findet und mich gern näher kennenlernen möchte.

Dutzende solcher Anfragen habe ich schon weggeklickt. Sorry, kein Interesse. Erst vor kurzem habe ich aber erfahren, was sich hinter all diesen gutaussehenden Amerikanern verbirgt. Es ist ein ausgeklügeltes Betrugssystem und heißt love-scamming. Auf Deutsch: Liebesbetrug. Die Masche dieser digitalen Heiratsschwindler ist einfach und fies: Mit einem gefälschten Profil machen sich diese Männer interessant, geben sich höflich und charmant und versuchen auf diese Weise, ihre potentiellen Opfer für sich einzunehmen. Und wenn das geklappt hat - auszunehmen: Plötzlich gerät Mr. Morris nämlich in finanzielle Nöte und bittet seine Internetbekanntschaft um Geld. Natürlich nur leihweise und als Überbrückungshilfe. Dann verschlimmert sich seine Lage, die Forderungen werden dringender, das Unheil nimmt seinen Lauf.

Lange habe ich nicht verstanden, warum Frauen da mitmachen. Nicht wenige sind hoch verschuldet oder finanziell bankrott. Dann habe ich ein Buch von Martina Hefter gelesen. Einen Roman mit dem Titel „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“* Darin schildert die Hauptfigur Juno, wie sie einem dieser Lovescammer auf die Schliche kommt, ihn sogar enttarnt und dann trotzdem mit ihm in Verbindung bleibt. Wie sie sich ihm innerlich öffnet, ihn dann wieder beargwöhnt und eine Zeitlang ignoriert, und dann doch wieder seine Fragen beantwortet. Geld fließt übrigens keins in diesem Buch. Aber die Geschichte ist so aufrichtig und echt, so völlig frei von Kitsch geschrieben, dass sie mich immer noch bewegt. Vor allem hat sie mir beigebracht, mich nicht über andere zu erheben, die „auf so was!“ reinfallen. Denn was für ein bedürftiges Wesen ist doch der Mensch! Angewiesen auf wahre Liebe und Zuneigung. Und wie verletzlich dabei. Ich auch!

*Martina Hefter, Hey guten Morgen, wie geht es dir? Stuttgart 2024

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40730
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