SWR4 Abendgedanken
„Im Herbscht stirbt mer net.“ – „Im Herbst stirbt man nicht“. Ich wohne in der Weinbauregion Rheinhessen. Auch die Menschen, die nicht direkt vom Weinbau leben, erleben den Rhythmus, den der Weinbau mit sich bringt, ganz bewusst. Oft hat sich Brauchtum darum herum entwickelt: Das Traubenblütenfest im Frühjahr, die Weinfeste im Sommer, der erste Federweiser im September, die Zeit der Lese im Herbst. Und das Wort „Herbst“ oder „Herbscht“, wie wir hier sagen, das ist eben nicht nur eine Jahreszeit, sondern bedeutet auf Rheinhessisch eben auch „die Zeit der Weinlese“.
Eine große Geschäftigkeit liegt dann in der Luft. In der Elektrofirma werden Nachtschichten und Wochenenddienste eingerichtet, weil die Pumpen in den Wein-Kellern, wenn sie heißlaufen, immer sofort repariert werden müssen. Da darf nichts stillstehen und ausfallen.
„Im Herbscht stirbt mer net.“ Für die Winzerfamilien ist die Zeit der Weinlese eine besonders intensive Zeit, in der alle Generationen eingespannt sind. Für etwas Anderes ist keine Zeit; das muss warten – sprichwörtlich sogar das Sterben. Nur nicht im Herbst, nicht während der Weinlese! Gestorben wird später.
Ich habe eine Bestatterin gefragt, ob es tatsächlich so ist, dass sie im Oktober weniger Beerdigungen zu begleiten hat. Tatsächlich hat sie den Spruch auch gekannt. Aber ihre Statistik scheint das nicht zu bestätigen. Und dann fügt sie hinzu: Egal, ob gerade Traubenlese ist oder nicht, egal, ob der Tod den Menschen in den Kram passt oder nicht – wir können nicht darüber bestimmen und sie beruft sich dabei auf einen Satz aus der Bibel: „Meine Zeit steht in deinen Händen“, sagt die Bestatterin; das halte sie für die richtige Einstellung dazu.
Der Bibelvers handelt davon, dass wir den Zeitpunkt des Todes von uns oder von den Menschen, die uns wichtig sind, nicht selbst bestimmen, sondern aus Gottes Hand annehmen. Auch wenn die Herbstzeit des Lebens so sehr angefüllt ist mit Dingen, die uns beschäftigen.
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