Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

25SEP2024
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Wir misten meinen Schrank aus. „Willst Du das nicht wegschmeißen?“ Meine Freundin hält mir ein ausgeblichenes Stück Stoff entgegen. Es ist verwaschen Türkis, man erahnt noch ein blaues gedrucktes Muster. Regenbogenbunte Lurexfäden sind eingewebt. Und um das ganze herum schimmernde Fransen. Ich nehme ihr das Tuch aus der Hand und drücke es instinktiv an meine Nase.

Nein – es riecht nicht mehr nach dem Parfüm meiner Mutter. So wie früher, wenn ich es aus ihrem Schrank stibitzt habe, um mich als Prinzessin zu verkleiden. Wenn ich es mir damals als Umhang um die Schultern gelegt habe, kam es mir vor wie das edelste und vornehmste Kleidungsstück auf der Welt. Als ich älter war, habe ich es mir dann manchmal als Turban um die hennagefärbten Haare gewickelt.

Viele Jahre lag es dann einfach vergessen in meinem Schrank. Bis es mein Sohn entdeckt hat. Da muss er ungefähr vier Jahre alt gewesen sein. Und in seiner Vorstellung war das die perfekte Schärpe für einen wilden Piraten. Oder das magische Tuch eines meisterhaften Zauberers. Oder die Gardine vor dem Fenster der Sofakissenburg.

Wenn jemand heute das Tuch anschaut, sieht er ein schäbiges, abgetragenes Stück Stoff. Wenn ich es anschaue, öffnet sich ein Fenster in eine vergangene Zeit und viele Geschichten fallen mir wieder ein. Ich wünsche mir, dass sich jemand an diese Geschichten erinnert. Dass sie erhalten bleiben und das verbinde ich mit dem Tuch. Aber ich weiß auch, dass meine Geschichten noch an anderer Stelle aufgehoben sind. Ob ich sitze oder stehe, so weißt Du es – so betet einer in der Bibel. Ich glaube Gott kennt meine Geschichten – war dabei, als ich Prinzessin war und war dabei, als ich zur Piratenmutter wurde. Bei ihm geht nichts verloren. Das tröstet mich.

Das Tuch bleibt aber trotzdem. Denn es hilft mir, dass auch ich nicht vergesse. Deshalb sage ich zu meiner Freundin: „Nein! Das will ich nicht wegschmeißen. Das bleibt. Da ist meine Geschichte eingewebt und an die will ich mich erinnern.“

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