Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Ich stehe in der Straßenbahn in Mainz. Offenbar haben viele Schulen gerade Schulschluss, denn es ist ziemlich voll. Ich bin eingeklemmt zwischen lauter Schulranzen; umringt von Schülern und Schülerinnen in allen Größen. Ich halte Ausschau nach ein bisschen mehr Platz und nach etwas, woran ich mich festhalten kann. Da fällt mein Blick auf ein Schild: Suche beim Stehen festen Halt! steht da in großen schwarzen Buchstaben auf weißer Emaille. Würde ich gerne, denke ich. Und fische mit der Hand nach einem Haltegurt, der von der Decke baumelt. Ob der mir sicheren Halt gibt? Zumindest falle ich nicht gleich um, wenn die Bahn bremst.
Suchen Sie festen Halt. Das gilt ja nicht nur in der Straßenbahn, überlege ich. Wie oft sucht man im Leben nach einem festen Halt. Besonders, wenn sich was verändert. Und ich habe das Gefühl es ändert sich ständig irgendwas. Zum Beispiel meine Kinder: eben waren sie noch klein und anhänglich und plötzlich sind sie junge Erwachsene. Da wünsche ich mir oft etwas, an das ich mich halten kann – das mir Halt gibt. Denn woher soll ich wissen, was sie brauchen? Es ist ja das erste Mal, dass ich ältere Kinder habe. Ich konnte das nicht üben. Und ich sehe den Kindern an, die bräuchten wirklich einen festen Halt. Denn auch für sie ist alles neu, was passiert. Lauter erste Male. Erster Urlaub alleine. Erstes Date. Erster Kuss. Ich wäre gerne der Halt, den sie brauchen. Aber wer hält mich? In der Bibel verspricht Gott an einer Stelle: Ich halte Dich an Deiner rechten Hand und ich sage Dir: hab keine Angst! Ob das ein sicherer Halt ist? Das Wort eines unsichtbaren Gottes? Eine unsichtbare Hand, die meine hält? Die Straßenbahn bremst. Ein Junge mit samt Schulranzen fliegt mir entgegen. Ich umklammere den Haltegurt fest mit der rechten Hand. Mit der freien Hand stütze ich das Kind. Es geht gut. Er fällt nicht. Und auch ich falle nicht um. Es kommt wohl auf den Versuch an, denke ich. Und darauf, voller Vertrauen den Halt zu ergreifen, der sich Dir bietet. In der Straßenbahn und im Leben.
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