SWR1 Begegnungen
Ich bin mit Anja Hoffmann vom „Arbeitskreis Leben“ in Karlsruhe verabredet. Seit 2019 engagiert sich die 50jährige hier ehrenamtlich als Krisenbegleiterin für Menschen in suizidalen Lebenskrisen und auch als Trauerbegleiterin nach Suizid.
Das eigene Leben zu beenden und Suizid zu begehen – das ist immer noch ein Tabu-Thema, über das man mit seinem alltäglichen Umfeld normalerweise nicht spricht.
Was wir oft erleben, ist, dass zum Beispiel jemand in Sorge ist aus dem Freundeskreis oder aus dem Familienkreis. Und dann anfängt zu recherchieren, wo gibt es Hilfe? Und die Menschen, die sich dann an uns wenden, die kommen meistens per Telefon bei uns an, manchmal per E- Mail. Wir haben aber auch Sprechzeiten, wo man vorbeikommen kann, passiert aber eher selten.
Über Zeitungsanzeigen, das Internet oder auch Facebook und Instagram macht der „Arbeitskreis Leben“ das Angebot, Betroffene auf ihrem Weg durch eine schwere Lebenskrise zu begleiten. Und es ist erschreckend, wie nötig dieses Angebot ist. Bis zu 10.000 Menschen nehmen sich in der Bundesrepublik jedes Jahr das Leben. Anja Hoffmann weiß: die gesamtgesellschaftliche Krisenstimmung, beeinträchtigt die Stimmung Einzelner enorm.
Mich stört da ganz persönlich auch oft die Art und Weise, wie kommuniziert wird, ob das jetzt von Medien ist oder also dieses gesamtgesellschaftliche, dass da oft so `ne Weltuntergangs Rhetorik permanent feuert auf die Menschen und das macht was mit den Menschen und das ist nicht gut. Wo soll die Hoffnung dann herkommen?
Trotzdem ist es natürlich ganz normal, sagt Anja Hoffmann, dass einem die Nachrichten aus aller Welt auch mal Angst machen können. Und nicht jeder, der schon mal an Suizid gedacht hat, ist deshalb wirklich gefährdet. In Lebenskrisen – zum Beispiel bei einer Trennung oder beim Verlust eines geliebten Menschen – ist das nicht ungewöhnlich. Gefährlich wird es, wenn sich solche Gedanken verfestigen. Der Arbeitskreis Leben möchte Menschen ermutigen, die Scham zu überwinden und Hilfe zu suchen. Denn: Darüber zu reden hilft!
In dem Moment, wo wir wirklich ganz ruhig und ganz direkt ganz klar fragen: „Haben Sie Suizidgedanken oder hast du Suizidgedanken?“ - je nach dem - dass dann erstmal die Erleichterung da ist: Ich kann das überhaupt mal aussprechen. Ich muss das nicht die ganze Zeit mit mir rumtragen, sondern da ist jemand, der das hört und der auch nicht gleich in Aktionismus verfällt.
Wenn ich mir Sorgen um einen Menschen aus meinem Umfeld mache, dann muss ich keine Angst davor haben, das offen anzusprechen.
Diese Mythen, die da existieren: Du bringst erst jemanden auf den Gedanken, wenn du fragst. Nein – jemand, der das nicht in sich hat... Man kann niemand auf diesen Gedanken bringen. Und da auch Ängste abzubauen, das finde ich so unheimlich wichtig, weil sonst können wir nicht füreinander da sein. Wenn man immer Angst hat, irgendwas Schweres zu hören, dann wird es schwierig mit Zuhören und Gemeinschaft
Ein wichtiger Punkt ist auch das Thema Resilienz, das auch etwas, was wir festgestellt haben, dass gerade junge Menschen oft wenig Krisen erprobt sind und wenig Krisenerfahrung auch haben und dadurch auch wenig Widerstandsfähigkeit zeigen.
Ihre eigene Kindheit und Jugend in Thüringen hat Anja Hoffmann noch anders erlebt. Sie musste mit vielen allein klarkommen, wohl oder übel. Aber rückblickend weiß sie: es hat sie stärker gemacht.
Von der Haltung „Früher war alles besser“ ist Anja Hoffmann aber weit entfernt. Es geht ihr nicht darum, dass es besser war – es war anders. Das Leben verändert sich
Familienstrukturen sind, nicht mehr so wie früher, die sind sehr viel loser geworden, sehr viel unverbindlicher oft geworden. Das Thema Glauben geht auch immer mehr zurück. Das ist ja auch ein Anker. Das erleben wir auch oft bei uns im Verein, in der Arbeit. Dass, das für Menschen wirklich ein Halt im Leben ist, wenn sie in Krisenzeiten sind oder wenn sie in der Depression stecken. , dass das eben doch noch hilft. Und an ganz vielen Stellen bröseln so Anker weg im Leben.
Das Zusammenleben verändert sich. Aber Halt im Leben lässt sich auf neue Art auch wieder finden. Das erlebt Anja Hoffmann, wenn Menschen sich auch in schweren Situationen neu ausrichten und zurück ins Leben finden.#
Ich hatte eine junge Frau, die ich begleitet habe, die hat ihren Vater verloren - durch Suizid. Und (...) die Leichtigkeit war weg im Leben. (…) Aber diesen Weg zu beobachten, wie sie wieder zurück ins Leben gefunden hat, und wie sie sich weiterentwickelt hat, das gibt mir so viel Hoffnung, ja, dass es ein Weitergehen gibt und dass dieses Weitergehen sicher anders ist, wie man sich das vorgenommen hat oder wie sie sich das vorgenommen hat.
Auch heute ist es möglich ein Umfeld zu finden, dass das Leben stützt und den einzelnen Halt gibt. Anja Hoffmann hilft gerne, es zu finden. Und sie ist überzeugt: In uns allen steckt die Kraft, Lebenskrisen zu überwinden.
Ich glaube ganz fest an dieses Thema Resilienz, aus Krisen gestärkt hervorzugehen, dass das möglich ist. Und ich erlebe das auch immer wieder, weil ich selber sehr viele Hinterbliebene nach Suizid (...) begleite (...) und wirklich zu sagen: Wow, was sind Menschen in der Lage, mit solchen Krisen, mit solchen schweren Situationen doch wieder Hoffnung zu schöpfen und doch wieder ins Leben zurückzufinden? Das ist ein ganz toller Aspekt dieser Arbeit, von dem ich selber auch unglaublich viel mitnehme für mich persönlich. Ja
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