Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Im Ingelheimer Winzerkeller habe ich vor einiger Zeit eine Entdeckung gemacht, die mich begeistert hat: da sind eine ganze Reihe große Weinfässer ausgestellt. Das Besondere daran ist, wie aufwändig die Fassdeckel gestaltet sind.
Da finden sich für jedes einzelne Erntejahr ein geschnitztes Motiv und ein Jahresreim, so wie dieser: „1964 war ein Sonnenjahr, die Reben blühten wunderbar. Die Trauben waren kerngesund. Der Wein ist köstlich in aller Mund.“ Und zwischen Weinranken und Trauben schaut die Sonne hervor, die alles hat wachsen und reifen lassen.
Aber es gab auch andere Jahre. Zum Beispiel steht auf dem Deckel des Jahres 1961: „Mäuse und Schädlinge groß und klein, die zerstörten 1961 sehr viel Wein.“ Am Rebstock hängen nur ein paar verdorrte Blätter, aber umso mehr Tiere tummeln sich in den Zwischenräumen.
Jedes Jahr hat seinen eigenen Fassdeckel bekommen, mochte es gewesen sein, wie es wollte. Was für ein wunderbarer Brauch! So will ich es auch machen:
Alles, das Schöne und das Traurige, all die Ernte, die ich eingefahren habe, lege ich hinein in mein Fass und setze dann den Deckel drauf. Ich verschließe, was gewesen ist und lasse es ruhen.
Ich gebe es damit aus meinen Händen und lege alles, was war, in Gottes Hand. Ihm überlasse ich das Reifen und nehme ein altes Erntedanklied ernst: Da heißt es über Gott: "Er wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein".
Ich stelle es mir genau so vor: Dass Gott mein Fass mit seinem Segen umwickelt, damit die Ernte wirklich gedeihen und reifen kann. So kann ich das Gute erkennen und auch das Schwere bekommt seinen Platz in meinem Leben. Alles ordnet sich zu einem Bild und schließlich kann ich Danke sagen. Danke, Gott, du hast mich so reich beschenkt.
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