SWR4 Abendgedanken
Ich sitze im Gottesdienst eines Kollegen. Es ist Sommer. Draußen wird es so langsam richtig warm. Und, natürlich, singen wir das Lied: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud, in dieser schönen Sommerszeit, an Deines Gottes Gaben. Sieh an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir, sich ausgeschmücket haben…“
Und ich denke: Och ne, nicht schon wieder. Fällt denn dem Pfarrer nicht mal was anderes ein? Immer die gleiche Leier. Muss das denn sein?
Und dann gehe ich nach Hause. Leicht frustriert. Auf dem Weg steht ein älterer Herr. Und starrt in die Luft. Ich verstehe erst gar nicht, was er da tut. Er guckt… total fasziniert… in die Luft vor sich. So etwa auf Augenhöhe. Als ich näherkomme, grinst er mich an. Und zeigt auf etwas Kleines, Braunes, das da vor ihm schwebt. Eine kleine Raupe. Es sieht aus, als würde sie schweben. Übt sie schon mal für ihr Leben als Schmetterling? Ich muss grinsen. Bei genauerem Hinsehen wird mir klar: Sie hat sich wohl an einem Faden abgeseilt. Von dem ziemlich hohen Baum über uns. Verrücktes Tierchen. Wir unterhalten uns noch kurz über die halsbrecherische Aktion dieser Raupe. Lachen miteinander. Wünschen uns einen schönen Sonntag. Und gehen beschwingt und gut gelaunt weiter.
Am Wegrand sehe ich kleine, zarte, weiße Blümchen. Sie sprießen nach dem vielen Regen der letzten Wochen aus den Ritzen im Beton. Ein weißer Schmetterling tanzt vorbei. Im Garten pflücke ich saftig-süße Mirabellen von unserem Baum. Er hängt übervoll mit leckeren Früchten. Wunderbar! Und die Brombeeren, sehe ich, sind auch schon reif. Brr, sauer! Aber sehr aromatisch.
Nachmittags besuche ich eine Freundin, der nach der Chemotherapie endlich wieder die ersten Haare wachsen. Ihre Perücke hat sie abgelegt. Und sie sieht so fröhlich aus, so chic.
Und abends sitze ich in der lauen Sommerluft im Tübinger Sommernachtskino. Der Film gefällt mir. Aber noch viel mehr genieße ich den warmen Wind, der meine Haut umspielt und die ausgelassene Fröhlichkeit der Menschen um mich herum. Kann so ein Wind alle Sorgen einfach fortblasen? Für einen Moment scheint es tatsächlich möglich.
Naja, und dann, abends, im Bett, da denke ich nochmal an den Gottesdienst vom Morgen. So viele Sommerwunder habe ich heute erlebt. Gottes Gaben. Geschenke, die mir einfach so zugeflogen sind. Und in Gedanken entschuldige ich mich bei meinem Kollegen. Er hat ja recht: Der Sommer bringt eine Zier und eine Freude. Genau, wie wir es gesungen haben. Danke, guter Gott, für all deine Sommerwunder!
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