SWR1 3vor8
„Herr Jericke, beten Sie?“ Eine Schülerin hat mich das im Religionsunterricht gefragt? „Nun ja, ich bin Pfarrer, natürlich bete ich“, habe ich ihr geantwortet. Im Nachhinein finde ich diese Antwort etwas irreführend. Denn bete ich nur, weil es zu meinem Beruf dazugehört?
Ehrlicherweise fällt es mir manchmal schwer zu Beten. Insbesondere dann, wenn ich nicht mit meinen eigenen Worten bete, sondern vorgefertigte Gebete nutze. So wie zum Beispiel das Vaterunser. Oder die Psalmen in der Bibel. Drücken diese Worte anderer wirklich das aus, was ich sagen will? Über einen Psalm wird heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt. Da heißt es:
Gott steht mir immer vor Augen. Mit ihm an meiner Seite falle ich nicht hin. Darum ist mein Herz so fröhlich und meine Seele jubelt vor Freude.
Ich finde, das sind schöne, hoffnungsvolle Worte. Und ich finde es beeindruckend, wenn jemand so ein unerschütterliches Gottvertrauen hat. Und aus diesem Vertrauen heraus betet.
Aber passt das zu mir? Denn ja: ich glaube an Gott, aber er steht mir nicht immer vor Augen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, er ist weit weg. Dann zweifle ich an Gott.
Und ja, der Glaube an Gott macht mich sicher auch manchmal fröhlich. Ich glaube, mein Leben wird dadurch in vielen Bereichen leichter. Aber dass meine Seele vor Freude jubelt? Selbst würde ich das so nicht sagen.
Und trotzdem merke ich: Es tut mir gut, mit diesen alten Worten zu beten. Weil Glaube für mich auch immer mit Gemeinschaft zu tun hat. Alleine Glauben, das gibt es für mich nicht. Da hilft es mir zu wissen, dass es auch vor vielen Jahren schon Menschen gab, die auf Gott vertraut haben.
Manchmal bin ich selbst auch sprachlos oder finde keine oder nicht die richtigen Worte finde. Dann helfen mir diese alten Gebete, eine Sprache für das zu finden, was ich denke oder fühle. Und auch der bedingungslose, der zweifelsfreie Glaube, der in diesem Psalm zur Sprache kommt, hilft mir. Weil ich glaube, dass Vertrauen abfärbt. Wenn jemand anderes glaubt und vertraut, hilft das mir zu vertrauen. Und deshalb bete ich heute mit, wenn es in der Kirche heißt: Mit Gott an meiner Seite falle ich nicht hin!
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