Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Vor ein paar Wochen habe ich einen jungen Bekannten zum Arzt gefahren. Es ging ihm nicht gut, er ist an einer Depression erkrankt.
Raus aus dem Behandlungszimmer kam er mit zwei Zetteln. Der eine Zettel war ein Rezept, das hatte ich erwartet. Der andere war ein kleiner blauer Notizzettel, auf dem ihm der Psychiater 4 Worte geschrieben hat.
„Das sind,“ so hat er ihm erklärt, „die vier Zutaten, die es jeden Tag braucht, damit es einem gut geht.“ Also in gewisser Weise auch ein Rezept, wenn auch ein etwas anderes, eines, das ich vorher noch nie gesehen hatte.
Die tägliche Zutat Nummer 1 auf dem blauen Zettel ist die „Pflicht“.
An jedem Tag braucht es etwas, das man geschafft hat, so dass man abends zufrieden zurückschauen kann. Bei den meisten ist es ihre berufliche Tätigkeit. In einer solchen Krankheit sind es kleine Errungenschaften, die man gemeistert hat und die sinnvoll sind.
Zutat Nummer 2 für die psychische Gesundheit ist „Bewegung“. Ob zügiges Spazierengehen oder Krafttraining sind zweitrangig. Der Körper gehört dazu, wenn es einem gut gehen soll.
Als Drittes gehören „Soziale Kontakte“ dazu. Wer nur für sich allein ist, wird langfristig leiden. Es braucht den Austausch mit anderen.
Und die vierte Zutat auf dem kleinen blauen Notizzettel ist, das „reine Vergnügen“, etwas, das einem Spaß macht.
Der kleine blaue Zettel mit den vier schnell hingeschriebenen Worten geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Zum einen schaue ich, dass ich persönlich die vier Zutaten in meinem Tagesablauf habe. Zum anderen überlege ich, wie ich dort, wo ich lebe, Menschen dabei unterstützen kann, dass alle vier Zutaten in ihrem Tag vorkommen.
Eine gute Idee dazu hatte unsere Kirchengemeinde in Ludwigsburg. Dort gibt es Spaziergruppen. Man meldet sich über eine App an und so finden sich Zweier-, Dreier- oder Vierer-Gruppen, die sich verabreden. Das finde ich eine gute Sache, denn beim Spazierengehen kann man sich prima unterhalten, und die Bewegung ist auch dabei. Also gleich zwei Zutaten auf einmal.
Wunderbar finde ich auch die Mittagstische, die viele Gemeinden anbieten. Bei denen trifft der Rentner auf die Businessfrau und der Handwerker auf eine Gruppe Viertklässler. Und im Raum liegt ein fröhlicher Klangteppich.
So eine Menschenansammlung wäre für meinen erkrankten Bekannten noch zu viel, doch letzte Woche hat er sich erstmals wieder mit einem Freund getroffen. Ein guter Anfang, finde ich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40640