SWR Kultur Wort zum Tag

06NOV2024
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Schon als Kind haben mich die Geschichten der großen Bergsteiger fasziniert. Ich habe alle Expeditionsberichte und alle Erzählungen über die Erstbesteigungen der höchsten Berge der Welt gelesen und bin oft in dieser Welt versunken.

Mein Idealbild war der starke Mensch, der sich allen Widerständen zum Trotz gegen die Natur durchsetzt und als ihr Bezwinger letztendlich auf dem Gipfel steht. Und ich glaube, das ist auch ungefähr das, zu was die Bergsteiger in vielen Zeiten stilisiert wurden. Sie sind dadurch auch oft als Helden für übersteigerten Nationalismus und sonstige geistige Irrwege der Menschheit missbraucht worden. Manche haben da gerne mitgemacht, anderen war das zuwider. Auf jeden Fall aber bieten sich diese Geschichten durchaus an, so gedeutet zu werden. Es sind Geschichten der Stärke, des unbedingten Willens, der Tüchtigkeit und eben des Sieges über den Berg. So wollte ich als junger Mensch auch sein: Allen Gefahren trotzen. Bis ich das Buch über die Erstbesteigung des 8188m hohen Cho Oyu gelesen habe. Dieses Buch hat meinen Blick auf das Bergsteigen verändert, hat mich demütiger gegenüber der Natur gemacht.

Es ist von Herbert Tichy. Er hat diesen sechsthöchsten Berg der Erde mit als erster bestiegen und er war, wie er selbst geschrieben hat, kein Bergsteiger, sondern ein Wanderer. Sein Geld hat er weitgehend als Reiseschriftsteller verdient.

In seinem Buch über die Cho Oyu Besteigung erzählt er viel von der Natur der Region. Er erzählt von den Völkern, die dort leben, die am Fuße der hohen Bergen wohnen und dort ihre Kultur und ihr Brauchtum vollziehen. Er erzählt von Gastfreundschaft und von rauschenden Festen. Von dem guten Bier, das dort gebraut wird. Er erzählt von der Herzlichkeit der Menschen und davon wie sie ihn und seine Begleiter unterstützen. Er berichtet von seiner Angst und seiner Schwäche und betont, wie wichtig seine Begleiter für ihn sind. Dass er ohne sie niemals auf einen so hohen Berg gekommen wäre. Und er spricht das riesige Glück an, das die Expedition gehabt hat. Es ist ein wunderschönes Buch, das von einer herausragenden alpinistischen Leistung erzählt, aber ganz ohne Heldentum und ganz ohne Selbstinszenierung auskommt. Es geht dem Autor nicht darum, wie er den Gipfel besiegt hat. Sondern es geht demütig darum, die Schönheit des Ortes den Menschen nahe zu bringen und vor allem, wie wichtig die Gemeinschaft ist. Wie sehr er auf die anderen angewiesen ist. Sein Buch heißt: „Cho Oyu – Gnade der Götter“. Da schimmert durch, dass es neben der eigenen und der Gemeinschaftsleistung noch auf mehr ankommt. Auf eine Kraft, die hinter allem steht. Auf einen Beistand, eben auf Gnade. Eine Kraft, die, wie ich finde, hinter allem stehen muss, wenn es gelingen soll. Eine göttliche Kraft.

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