SWR4 Abendgedanken

26AUG2024
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Ein Bekannter von mir, der auch Pfarrer ist, hatte Probleme mit seinem Kirchengemeinderat. Die Mitglieder stritten sich in den Sitzungen ununterbrochen, der Ton war rau und sie konnten oft keine Entscheidungen gemeinsam treffen.

Er wusste sich nicht mehr zu helfen. Hatte alles Mögliche probiert. Dann kam ihm die Idee, Jesus in die nächste Sitzung einzuladen. Er ließ also einen Platz frei und dort stand ein Namensschild: Jesus.

Das Spannende: Die Sitzung lief wirklich anders ab. Ruhiger. Entspannter. Vielleicht haben sich manche aus dem Gremium wirklich zusammengerissen, weil ja quasi Jesus mit am Tisch saß. Mir gefällt, dass die Leute sich wohl daran erinnert haben, wie freundlich Jesus zu anderen war.  Er saß gerne mit allen möglichen Leuten, auch mit Fremden, an einem Tisch.

Es ist übrigens eine alte Tradition, dass ein Stuhl für jemand anderen mit am Tisch steht. Jemand, der dazugehört, aber jetzt nicht persönlich da ist.  Zum Beispiel im alten Rom. Da hat sich einmal im Jahr jede Familie auf dem Friedhof getroffen. Sie saßen dann gemeinsam auf dem Flachdach des kleinen Hauses, wo ihre Toten beerdigt waren und haben dort gemeinsam gegessen. Mit dabei stand ein freier Stuhl. Für den Verstorbenen, der dadurch bei ihnen war. Und in Polen gibt es die Tradition, dass an Weihnachten ein Gedeck mehr auf dem Tisch steht und ein freier Stuhl dabei. Falls noch ein Gast kommt. Damit man diesem gleich etwas anbieten kann. Ihn direkt in die Tischgemeinschaft aufnehmen kann.

Dadurch angeregt denke ich über meinen eigenen Esstisch zuhause nach. Ich lebe alleine und deshalb ist von meinen vier Stühlen meist nur einer besetzt. Eben von mir.

Ich esse gerne mit anderen Menschen zusammen. Ich liebe es bei einem Glas Wein über Gott und die Welt zu reden. Aber oft bin ich eben allein mit den drei freien Stühlen. Wenn ich nachher beim Abendessen wieder an meinem Tisch sitze, stelle ich mir heute vor, dass auf einem Stuhl Jesus Platz nimmt, auf einem meine verstorbene Oma und den letzten lasse ich frei für Besuch. Was wäre das für eine tolle Tischgemeinschaft! Was könnten für Gespräche entstehen mit meiner Oma, mit der ich viel erlebt habe, mit Jesus, der mich erinnert, wie ich mit meinen Mitmenschen besser umgehen kann, und mit jemandem, der ganz spontan dazukommt und den ich noch nicht kenne.

Ich glaube, ich sollte mir Namenskärtchen am Tisch zulegen.

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