Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

31AUG2024
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Oberhalb von Bacharach stehen die Reste der Wernerkapelle. Romantischer geht es in Rheinland-Pfalz am Mittelrhein kaum: Der große Fluss, die alte Stadt, die steilen Weinberge und dazu die Wernerkapelle. Die ist eine Ruine ohne Dach, Fenster und Türen und Teil des Weltkulturerbes.

Leider ist die Geschichte hinter der Kapelle alles andere als romantisch. Als vor über siebenhundert Jahren ein halbwüchsiger Junge namens Werner tot aufgefunden wurde, gab man „den Juden“ die Schuld. Schon zuvor hatte man immer wieder Lügengeschichten konstruiert und behauptet, dass sie in ihren Gottesdiensten Menschen opfern. Nach dem Tod des Jungen kam es zu Gewalt gegen die jüdische Gemeinde. Und bald errichtete man ihm zu Ehren die Wernerkapelle. Man erklärte ihn einfach zum christlichen Märtyrer, von Juden ermordet. Es hat viele Jahrhunderte gedauert, bis die Christenheit erkannt hat, was für Verbrechen sie in ihrem Judenhass begangen hat. Vor der Wernerkapelle ist deshalb ein Zitat von Papst Johannes XXIII. angebracht. Er betete:

„Vergib uns den Fluch, den wir zu Unrecht an den Namen der Juden hefteten… Denn wir wussten nicht, was wir taten.“

Ja, die Christen haben statt Segen immer wieder Fluch auf ihre jüdischen Mitmenschen gelegt. Aber Gott sei’s geklagt, ich fürchte, mit seiner letzten Bemerkung hatte Johannes XXIII. nicht recht: Leider weiß, wer andere verfolgt, meistens sehr genau, was er tut.  Denn man will sich überlegen fühlen, indem man andere ausgrenzt. Man will sich ungestraft fremdes Eigentum aneignen. Es ist noch gar nicht lange her, gerade ein paar Wochen, da gab es wieder einmal solche Unruhen in England.

Der französische Schriftsteller Victor Hugo hat die Ruine der Wernerkapelle einst ein romantisches „Gerippe“ genannt. Ach, ich wünschte, Ausgrenzung und Verfolgung und Hass und Neid wären auch nur noch Vergangenheit und ein Gerippe!

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