SWR Kultur Lied zum Sonntag
1) Gott wohnt in einem Lichte, dem keiner nahen kann.
Von seinem Angesichte trennt uns der Sünde Bann.
Unsterblich und gewaltig ist unser Gott allein,
will König tausendfaltig, Herr aller Herren sein.
2) Und doch bleibt er nicht ferne, ist jedem von uns nah.
Ob er gleich Mond und Sterne und Sonnen werden sah,
mag er dich doch nicht missen in der Geschöpfe Schar,
will stündlich von dir wissen und zählt dir Tag und Jahr.
3) Auch deines Hauptes Haare sind wohl von ihm gezählt.
Er bleibt der Wunderbare, dem kein Geringstes fehlt.
Den keine Meere fassen und keiner Berge Grat,
hat selbst sein Reich verlassen, ist dir als Mensch genaht.
4) Er macht die Völker bangen vor Welt- und Endgericht
und trägt nach dir Verlangen, lässt auch den Ärmsten nicht.
Aus seinem Glanz und Lichte tritt er in deine Nacht:
Und alles wird zunichte, was dir so bange macht.
5) Nun darfst du in ihm leben und bist nie mehr allein,
darfst in ihm atmen, weben und immer bei ihm sein.
Den keiner je gesehen noch künftig sehen kann,
will dir zur Seite gehen und führt dich himmelan.
Wer Gott anschaut, muss sterben. An verschiedenen Stellen der Bibel wird auf diesen Umstand hingewiesen. Am deutlichsten wohl, als Mose ausdrücklich danach verlangt. Aber Gott gibt ihm zur Antwort: Mein Angesicht aber wirst du nicht sehen können. Denn kein Mensch kannmich sehen und am Leben bleiben[1]. Damit muss sich jeder abfinden, der mehr wissen will, als Gott von sich aus bereit ist preiszugeben. Und nun? Ist damit eine unüberbrückbare Grenze definiert und Gott weit weg? Die erste Strophe unseres Lieds heute legt das nahe: Gott wohnt in einem Lichte, dem keiner nahen kann.
Strophe 1
Jochen Klepper, Dichter des Lieds, ist es ungemein wichtig herauszustellen, wie groß Gott ist. Der Grund dafür liegt unmittelbar auf der Hand, wenn man weiß, wann und unter welchen Umständen Klepper den Text für das heutige Lied gedichtet hat. 1938, in einem Land, im dem sich die Nationalsozialisten selbst zur Herrenrasse erklärt hatten. Der evangelische Theologe und Pfarrer hält dem mutig entgegen, dass nur Gott unsterblich ist und ihm allein der letzte Respekt gilt, keinem Menschen. Er ist der Herr aller Herren; und steht damit eben auch über den politischen Machthabern des sogenannten Dritten Reichs. Das werden die Nazis nicht gerne gehört haben. Und den Druck auf Klepper erhöht haben; auf ihn und seine Frau, die Jüdin war, und die beiden Töchter, die sie mit in die Ehe gebracht hat. Für diese verhängnisvolle Situation musste Klepper die andere Seite des göttlichen Geheimnisses betonen – wie es in der zweiten Strophe ausgedrückt ist.
Strophe 2
Klepper sucht in dieser Welt einer menschenverachtenden Diktatur nach etwas, das ihm Halt gibt und Wärme. All seine Hoffnung wirft er auf den, der sich für jedes Geschöpf interessiert; der ihm persönlich nahe ist, weil er liebt, was er geschaffen hat; der selbst Mensch in Jesus geworden ist. Das ist die Kehrseite der Allmacht Gottes. Mensch geworden ist er Teil von jedem von uns. So schwach wie wir, verletzlich, angewiesen auf Freundschaft und Liebe.
Lange hat Klepper das geholfen durchzuhalten. Als die Flucht der jüngsten Tochter ins rettende Ausland scheitert und ihre Deportation droht, sehen sie keinen Ausweg mehr. Die ganze Familie nimmt sich das Leben. Wie furchtbar ist dieses Schicksal, wie grausam, was gottlose Menschen anderen antun! Denen in der Vergangenheit und denen unserer Tage ist ins Stammbuch geschrieben, was unser Lied in seiner vierten Strophe zum Ausdruck bringt.
Strophe 4
Liednachweis:
Gott wohnt in einem Lichte. Vorspruch und Lied-Motette für Männerquintett a cappella
Eine Deutsche Messe / A German Mass
Schlenker, Manfred; Klepper, Jochen
Ensemble Nobiles
Gott wohnt in einem Lichte für Chor und Klavier
Ja, ich will euch tragen - Jochen Klepper und seine …
Gesius, Bertholomäus; Klepper, Jochen; ...
Das Solistenensemble; Schnitter, Gerhard
[1] Exodus 33,20
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