SWR1 Begegnungen
Ich treffe heute den gebürtigen Mainzer Lorenz Narku Laing. Mich interessiert an ihm einerseits sein Forschungsfeld – er ist Professor für Sozialwissenschaften und Rassismusforschung. Spannend ist aber auch seine persönliche Geschichte. Denn eigentlich sprach alles dagegen, dass der gebürtige Mainzer einmal Professor werden würde. In seiner Jugend erlebte er viele Jahre der Armut, er ist Schwarz und noch sehr jung für einen Professorentitel – ein leichter Weg war das nicht:
Ich saß manchmal im Unterricht ohne Bücher. Ich konnte nicht auf meine Klassen-Jahrgangs-Abschlussfahrt mitfahren. Es war holprig, weil manchmal hatten wir einfach kein Frühstück. [...] Also manchmal sagen die Leute, sie haben nicht gefrühstückt. Wir hatten manchmal kein Frühstück.
Dass er es trotzdem geschafft hat, das liegt an unterschiedlichen Faktoren. Einer davon: harte Arbeit. Daneben aber auch ganz simpel: finanzielle Unterstützung. Ohne die wäre Narku Laings Bildungsweg nach der Schule vielleicht zu Ende gewesen:
Hätte mein American-Football-Coach [...] nicht gesagt: „Ich zahle die Immatrikulation Gebühr“, dann wäre es eigentlich an der Faktizität des Geldes gescheitert.
Sein Coach und Trainer beim Sport ist für Lorenz Narku Laing da gewesen – zum Glück. Und zum Glück waren immer wieder Menschen an seiner Seite, die ihn gefördert und unterstützt haben. Nicht nur mit Geld. Sondern indem sie ihm geholfen haben, sich selbst etwas zuzutrauen.
Da merkt man, wie wichtig positive Affirmation im jungen Alter war. Es war schon eine Kindergärtnerin, die mal sagte: „Du wirst mal ein Professor.“
Bildung scheitert nicht nur an mangelnder positiver Bestärkung, sondern auch an Diskriminierung. Bildung droht zu scheitern, so Narku Laing, wenn Menschen wie er die Erfahrung machen …
an der Universität [...] beleidigt zu werden, rassistisch von anderen Menschen an der Hochschule, wo ich mir dann wirklich zwischendrin die Frage gestellt habe, ob ich dort hingehöre. Und es waren Hochschullehrer:innen, die selbst diskriminierungsbetroffen waren, weil sie queer waren, weil sie behindert waren, weil sie Schwarz waren, weil sie muslimisch waren, die [...] mir Glauben gegeben haben, dass ich an die Hochschule, in die Universität gehöre.
Für ein gerechteres Schulsystem muss man an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Narku Laing meint, es braucht einen weiteren Horizont bei den Inhalten:
Erst in der zwölften Klasse habe ich mal einen schwarzen Menschen in einem Schulbuch gesehen, und zwar Martin Luther King Jr. Das ist nicht gut genug. Ich will von der ganzen Vielfalt unserer Weltgesellschaft lernen. Ich will lesen über Buddha Siddharta und Konfuzius, über Frederick Douglas, […] über Hildegard von Bingen und Hannah Arendt. […] Das heißt, wir müssen dorthin finden, dass wir die ehemals Versklavten, die Marginalisierten und Diskriminierten, die Frauen, die Menschen mit Behinderungen, die Schwarzen ganz normal Teil des Schul-Curriculums werden lassen, damit die jungen Menschen Vorbilder haben.
Und dann braucht es ganz praktische Unterstützung. Einfachere Zugänge zu Bildung und Lehrmittel.
[…] Indem wir die Maxime rausgeben: Kein Kind sollte ohne Schulbuch zur Schule gehen. […] Wir müssen Patenschaften, soziale Patenschaften stärken. Weil meine Eltern konnten mir, da sie selbst in das Bildungssystem eingewandert sind, häufig nicht erklären, wie es funktioniert.
Und schließlich können seiner Meinung nach auch die Kirchen einen wichtigen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit leisten. Zum Beispiel:
Die evangelischen Hochschulgemeinde an vielen Universitäten und Hochschulen können einen Beitrag leisten, indem sie ganz aktiv Formate für Bildungsaufsteiger, für Armutsbetroffene, für Diskriminierte anbieten und deren Veranstaltungen und Treffen in ihren Räumen stattfinden lassen.
Und obwohl für ihn Kirche eine wichtige Rolle dabei spielt, ein gerechteres und vielfältigeres Bildungssystem zu ermöglichen, hofft er, dass sich gleichzeitig in den Kirchen selbst auch noch einiges verändert:
Die Kirche will Vielfalt, aber kann es noch nicht. Was wir erleben im kirchlichen Kontext, ist, dass wir ganz viele Menschen haben, die sich für Vielfalt einsetzen. […] Gleichzeitig sehen wir ein großes Defizit in der Repräsentation von vielfältigem Leben in den Spitzenämtern unserer Kirche, […] bei der Finanzierung von Diversitäts-orientierten Projekten, […] im Gemeindeleben.
Das Gemeindeleben ist ein Ort, an dem eine solche Vielfalt eingeübt werden kann. Auf meine Frage, was Kirchengemeinden für mehr Vielfalt tun könnten, hat er verschiedene Vorschläge:
Erst mal ladet euch eine fremdsprachige […] Gemeinde ein, die Gottesdienste in anderer Sprache feiert oder aus einer anderen kulturellen Tradition und feiert einmal im Monat mit ihnen gemeinsam […]. Schreibt ein kleines Budget für Diversität aus. Und das darf dann alles sein. Man könnte sowohl damit am Christopher Street Day teilnehmen oder ein kleines Projekt für Geflüchtete machen oder ein Nachmittag für Menschen mit Behinderung gestalten […]. Schreibt kleine Briefe an die Kirchenoberen und sagt den: Vielfalt ist uns wichtig […]. Lasst den Kirchenmenschen, die sich auf Social-Media für Vielfalt einsetzen ein Like da […] und verteidigt sie bei Diskriminierungen.
Auch wenn Narku Laing in den Kirchen noch viel Arbeit in Hinblick auf Rassismus und Diskriminierung gibt – es ist trotzdem der Glaube, der ihm Hoffnung gibt, dass eine gerechtere Welt möglich ist:
[E]s sind großartige Protestant:innen von Paul Gerhardt über Reverend Doktor Martin Luther King Jr. über Magnus Hirschfeld und andere, die sich leidenschaftlich und mit Überzeugung für Antidiskriminierung unserer Gesellschaft eingesetzt haben. Die mir den Glauben geschenkt haben, dass wir Diskriminierung bekämpfen können und dass das funktioniert. Also ich würde sagen, ohne meinen Glauben hätte ich nicht die Hoffnung, dass das alles noch wird
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40542