SWR Kultur Wort zum Tag

09SEP2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Worte können verletzen, keine Frage. Aber sollte ich mir deshalb den Mund verbieten lassen? Nein, sagt Frauke Rostalski. Denn wir zahlen einen hohen Preis, wenn wir das freie Wort einschränken. Wer Freiheit will, muss es aushalten, wenn mir die Meinung des anderen nicht gefällt.

Frauke Rostalski ist eine junge Professorin für Strafrecht aus Köln und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Sie hat das Buch „Die vulnerable Gesellschaft“ geschrieben. Vulnerabel sein, bedeutet verletzlich zu sein. Natürlich soll der Staat die Menschen im Land schützen, gerade die Schwachen und Verletzlichen. Doch ab wann muss mich der Staat schützen und was muss ich aushalten? Rostalski ist überzeugt: Diese Frage müssen wir als Gesellschaft diskutieren.

Eine verletzliche Gesellschaft stellt immer mehr Stoppschilder auf: Du stellst die Maßnahmen während Corona in Frage? Dann bist Du ein Coronaleugner – mit solchen Leuten rede ich nicht. Abtreibung ist in Deinen Augen ein Verbrechen? Wie frauenfeindlich kann man sein – und tschüss. Politische Ansichten und persönliche Gefühle sind so stark miteinander verbunden, dass ich andere Meinungen nicht mehr aushalten kann.

Vielleicht kennen Sie das Gefühl mit einer Schere im Kopf unterwegs zu sein: Wo steht meine Nachbarin eigentlich politisch? Was darf ich sagen, was ist Tabu? Umfragen zeigen, dass eine wachsende Zahl an Menschen hier sehr unsicher ist.

Aber in einer Demokratie muss es möglich sein, offen zu diskutieren. Natürlich kann ich sagen „Hass ist keine Meinung“ und gegen Rechtspopulisten auf die Straße gehen. Da bin ich sofort dabei. Aber wenn rechtsextreme Politiker im Bundestag sitzen, haben hunderttausende Menschen sie gewählt. Da muss ich zuhören, argumentieren und streiten – selbst wenn ich es schwer aushalte, was andere denken und sagen.

Auch dafür braucht es Regeln. Für Frauke Rostalski ist klar: Einzelne Personen dürfen nicht beleidigt werden. Ansonsten gilt: Ich kann nicht auf jede Empfindlichkeit Rücksicht nehmen. Denn eine Demokratie braucht den offenen Diskurs. Nur so können wir aushandeln, welchen Weg wir als Gesellschaft gehen wollen.

Ich werde ihr Buch weiterempfehlen, weil es mir leidtut, wenn Menschen nicht mehr miteinander reden. Ich habe keine Lust in einer Gesellschaft zu leben, in der jeder nur noch in seiner Blase glücklich ist. Ob im Sportverein, in der Kirche oder in der Familie: Lasst uns einander zuhören, diskutieren und Unterschiede aushalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40477
weiterlesen...