SWR Kultur Wort zum Tag
Für mich arbeiten zurzeit ungefähr 60 Sklaven. Das behauptet zumindest die Professorin Evi Hartmann. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hat einen Lehrstuhl für „Supply Chain Management“ inne, d.h. sie beschäftigt sich mit Lieferketten in unserer globalisierten Wirtschaft. Sie kennt sich also aus, wie und woher die Waren kommen, die wir kaufen – und wie sie produziert werden. Sie sagt: „Wenn Sie Kleidung tragen, Nahrung zu sich nehmen, ein Auto fahren oder ein Smartphone haben, arbeiten derzeit ungefähr 60 Sklaven für Sie.“ Das trifft auf mich zu. Leider.
Natürlich wusste ich, dass unser globales Wirtschaftssystem in vielen Bereichen ungerecht ist, und viele Menschen zu schlechten Löhnen und unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten, um unseren Konsum und Wohlstand zu ermöglichen. Aber so direkt hat es mir noch niemand gesagt: 60 Sklaven arbeiten für mich. Das möchte ich nicht.
Klar, möchte ich gut leben. Dazu gehört für mich auch: leckeres Essen, Klamotten, die mir gefallen, ein Smartphone, um mit anderen in Kontakt zu sein und unterwegs Internet zu haben. Dafür nehme ich in Kauf, dass es anderen Menschen schlecht geht. Ich kann es vermutlich nur, weil ich diese Tatsache normalerweise verdränge. Meinem T-Shirt sehe nicht direkt an, ob es für einen Hungerlohn von einer Näherin hergestellt wurde. Keine Ahnung, ob jemand seine Gesundheit ruiniert hat, um die Rohstoffe für mein Smartphone zu gewinnen. Aber unwahrscheinlich ist es nicht.
Ich weiß es nicht – oder ich will es nicht wissen? Weil wenn ich es weiß, dann kann ich guten Gewissens nicht mehr so weiterleben wie bisher. Ich kann das System im Ganzen nicht ändern, und einfach so aussteigen geht auch irgendwie nicht. Aber ich kann mir die Ungerechtigkeit immer wieder bewusst machen und mein Verhalten ändern. Ich kann Produkte kaufen, die zu fairen Bedingungen hergestellt wurden. Bei vielen Lebensmitteln achte ich schon bewusst darauf, aber bei Kleidung und vielen anderen Produkten habe ich ehrlich gesagt noch viel Luft oben. Ich müsste mich besser informieren. Manchmal bin ich mir auch nicht sicher, ob der Mehrpreis, den ich bereit bin zu zahlen, tatsächlich dort ankommt, wo er hingehört. Mir ist bewusst, dass viele Menschen sich diesen Aufpreis nicht leisten können, weil ihr Einkommen trotz harter Arbeit dazu nicht reicht. Auch das ist Teil eines ungerechten Systems. Aber ich kann es.
Deshalb ist einfach so weiter machen keine Option, denn ich will nicht, dass 60 Sklaven für mich arbeiten.
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