SWR Kultur Wort zum Tag

05AUG2024
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Wenn ich müde bin, lege ich mich auf mein Sofa und schaue durch das Fenster auf den Perserteppich, der bei meinem Nachbarn an der Wand hängt. Es ist ein riesengroßer Perserteppich voller wunderbarer Blumen. Und ich erinnere mich an die gute Tradition persischer Teppichknüpfer, in jeden noch so kunstvollen Teppich einen kleinen Fehler hineinzuarbeiten. Einen Webfehler. Eine faszinierende Idee: Denn dadurch werden die Perserteppiche menschlicher. Wärmer. Und die Teppichknüpfer bringen zum Ausdruck, dass nur Gott perfekt ist. Kein Mensch, auch kein noch so begabter Handwerker. Neulich bin ich an einem Plakat vorbeigekommen, das diese Kunst auf den Punkt gebracht hat. Darauf stand: „When too perfect, lieber Gott böse“ – wenn es zu perfekt ist, dann ist der liebe Gott böse.

Der Spruch stammt von dem koreanischen Künstler Nam June Paik. Paik hat sich mit moderner Technik auseinandergesetzt und sie gefeiert, aber auch kritisiert. Denn die moderne Technik zielt ja auf Perfektion: Mein neues Smartphone liegt nochmal besser in der Hand als das Vorherige. Seine Fotos sind fast so gut wie die von einer professionellen Kamera, und die sieht mittlerweile viel besser als jedes menschliche Auge. Moderne Technik zielt auf Perfektion, und im Alltag profitiere ich ja oft davon. Aber manchmal hat dieses Streben nach Perfektion auch etwas Ermüdendes. Während ich als Mensch mit meinen Fähigkeiten langsam abbaue, setzt der Fortschritt immer noch eins drauf. Geradezu unmenschlich kann das sein.

Gott aber mag es nicht, wenn Menschen so tun, als wären sie Gott – mit Paik gesprochen: „When too perfect, lieber Gott böse“. 

Der Satz ist eigentlich auch eine gute Zusammenfassung der Rechtfertigungslehre. Steh zu deinen Fehlern, zu deinen Unzulänglichkeiten. Stehe zu deinem Menschsein. Gott verlangt garkeine ständige Perfektionierung von mir. Ich denke den Gedanken weiter. Vielleicht so: „When not perfect, lieber Gott lächelt“ – wenn ich nicht perfekt bin oder wenn ich einen Fehler mache, dann lächelt Gott. Weil er will, dass wir auch lächeln. Ich denke über mich selbst nach: Wie oft ärgere ich mich über einen Fehler von mir. Manchmal liege ich eine halbe Nacht wach und komme kaum zur Ruhe, weil ich etwas nicht perfekt gemacht habe. Anstatt voller Groll dazuliegen, werde ich in Zukunft versuchen, darüber zu lächeln. Oder ich hänge am nächsten Morgen ein Plakat auf, leicht schräg, und mit dem Spruch drauf: When too perfect, lieber Gott böse.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40445
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