SWR Kultur Wort zum Tag
Viele sind zutiefst erschüttert von den Ereignissen vom 07. Oktober, von dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Vom Morden der Hamas. Aber auch von den vielen Toten auf palästinensischer Seite durch die Reaktion Israels. Und viele Menschen sind davon erschüttert, wie sehr sich die Gräben weiter vertiefen zwischen den Israelis und den Palästinensern im Nahen Osten. Eigentlich sind sie sprachlos. Und doch gibt es einige, die sagen: gerade jetzt müssen wir „trotzdem sprechen.“
„trotzdem sprechen“ – so heißt ein Buch, das ich vor ein paar Wochen angefangen habe zu lesen und das mich seitdem aufwühlt. Darin kommen Menschen aus Deutschland zu Wort, die aus dem arabischen Raum stammen. Und die erzählen, wie sich auch ihr Leben hier in Deutschland nach dem 07. Oktober verändert hat. Herausgegeben hat das Buch Lena Gorelik – sie ist eine deutsche Schriftstellerin aus jüdischer Familie, die enge Verbindungen mit diesen Menschen pflegt.
Mich hat besonders der Beitrag von Nazih Musharbash berührt. Er ist ein Christ wie ich und besitzt wie ich die deutsche Staatsbürgerschaft. Doch er erlebt Deutschland momentan ganz anders als ich, das Mitglied der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Weil Musharbash geborener Palästinenser ist und somit auch wie ein Araber aussieht, wird er oftmals nicht für einen Deutschen gehalten. Und da viele Deutsche nicht wissen, dass es eine christliche Minderheit in Palästina gibt, wird er mit seinem arabischen Aussehen automatisch für einen Muslim gehalten. Als arabischer Muslim aber wird er verdächtigt, Sympathien für die Hamas zu haben. In jedem Radiointerview, das er gibt, wird er aufgefordert, sich ausdrücklich von der Hamas zu distanzieren. Er, der christliche Deutsche, der seit 58 Jahren hier lebt, er, der im Stadtrat und im Kreistag von Osnabrück gesessen hat, um Deutschland mitzugestalten: Er wird seit dem 07. Oktober in der Öffentlichkeit allzu oft für einen Unterstützer der Hamas gehalten. Jeden Tag muss er sich gegen Worte und Blicke zur Wehr setzen, die von seinem Äußeren auf seine Gesinnung schließen wollen.
In dieser Situation sagt er: Ich will trotzdem sprechen. Mein Glaube gibt mir die Kraft dazu. Mit den Menschen will ich trotzdem sprechen, die mir Nähe zum Terror unterstellen, und mit allen Menschen, die andere aufgrund ihres Aussehens beurteilen. Denn trotz unserer verschiedenen Aussehen pulsiert in den Adern von uns allen dasselbe Blut. Und in Gottes Augen sind wir alle gleichermaßen seine geliebten Kinder. Davon will ich gerne „trotzdem sprechen“.
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