SWR1 3vor8
Es ist jetzt 35 Jahre her, dass ich zum ersten und bislang einzigen Mal in Israel gewesen bin. Für eine Theologiestudentin war eine Reise ins Land der Bibel praktisch Pflicht. In den 80er Jahren hat an deutschen Fakultäten der Dialog zwischen Juden und Christen geblüht; die kritische Auseinandersetzung mit dem antijudaistischen Erbe christlicher Theologie befand sich auf einem Höhepunkt. „Zu jener Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.“ Dieser Satz des biblischen Propheten Sacharja gibt die damalige Stimmung sehr gut wieder. Viele Christen waren bereit, diesen Zipfel vom Gewand zu ergreifen und sich mitziehen zu lassen. Ein jüdischer Mann – nicht in der Rolle des Verfolgten, sondern als Vorbild und Wegbereiter für ein friedliches Zusammenleben der Völker in Jerusalem. Ausgerechnet in Jerusalem!
Auf meiner Israelreise im Jahr 1989 wurde ich allerdings mit einer ganz anderen Wirklichkeit konfrontiert. Es war zur Zeit der ersten Intifada. Palästinenser hatten begonnen, ihre Rechte einzuklagen und sich gegen Repressalien zu wehren. Die Lage im Land war angespannt; das Reisen gefährlich. Und wie viele Chancen auf Frieden und Versöhnung sind seither verpasst worden! Heute ist die Lage im Nahen Osten verzweifelter und aussichtsloser denn je, und wahrscheinlich weiß nicht einmal Gott selber, wie sie zu lösen sein könnte. Aber sein Prophet stellt uns das Bild heute, am Israelsonntag 2024, erneut vor Augen: „Zu jener Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.“ Ach, Gott, es braucht ja nur den Zipfel eines Gewandes. Häng ihn uns doch in den Weg!
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