SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

04AUG2024
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Vor ein paar Jahren war ich bei einem ausgelassenen Fest in Pforzheim dabei. Es war im Dezember, und wir haben Advent und Chanukka gemeinsam gefeiert. Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen aus Baden-Württemberg haben die Kerzen am Chanukkaleuchter ebenso entzündet wie die Kerzen am Adventskranz. Wir haben gefeiert, dass es schon über 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gibt. Und nach dem feierlichen Teil und einem wunderbaren Festessen haben wir alle zusammen getanzt. Fröhlich und ausgelassen, in großen Kreisen. Alle haben sich anstecken lassen.

Ich denke in den letzten Wochen oft an diesen ausgelassenen Abend. Und ich vermisse die Leichtigkeit und die Zuversicht, die damals in der Luft gelegen hat. Seit der Krieg in Israel und Gaza ausgebrochen ist, liegt auch bei uns eine Schwere in der Luft. Die Verbindung zu meinen jüdischen Freundinnen und Freunden ist mir deshalb in den vergangenen Monaten noch wichtiger geworden. Ihr Schmerz und ihre Angst davor, erkennbar auf den Straßen unterwegs zu sein, tut auch mir weh.

Heute feiern wir in den evangelischen Gottesdiensten – wie jedes Jahr - den Israelsonntag. Er erinnert mich daran, dass ich auch als Christin Wurzeln im jüdischen Glauben habe. Auch ich glaube daran, dass Gott einmal Frieden schaffen wird unter allen Völkern und Nationen. Ich denke an die hoffnungsvolle Zukunfts-Vision, von denen die jüdischen Propheten in der Bibel immer wieder erzählen: dass eines Tages alle Menschen zusammenkommen, auf den Zion, nach Jerusalem.

Sacharja ist einer dieser Propheten. Gott verheißt ihm eine Zeit, in der die Bürger aller Städte und Nationen der Welt nach Jerusalem kommen werden – auf der Suche nach Frieden und nach Gott. Und wörtlich heißt es bei Sacharja:

Zu jener Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.

Bei diesen alten Prophetenworten denke ich daran, wie ich mit unseren jüdischen Freunden getanzt habe bei unserem gemeinsamen großen Fest. Da sind wir nicht nur miteinander gegangen, sondern haben sogar miteinander getanzt. Wir haben gespürt, dass Gott mit uns allen ist und dass wir untrennbar verbunden sind. Und dass wir alle miteinander teilhaben an Gottes Verheißung, die er einst seinem auserwählten Volk, den Jüdinnen und Juden gegeben hat. Das ist die Wurzel aller Hoffnung auf Frieden, auf Shalom, die ich habe. Auch in diesen Tagen.

Diese Hoffnung trägt das Gewand von fröhlich Tanzenden und sieht vor sich das Bild von den Völkern, die sich in Jerusalem treffen und nach Gott und der Wahrheit suchen.

Irgendwann einmal werden die Menschen in Jerusalem Frieden finden. Und heute schon suchen die Menschen danach. In vielen Liedern und Texten wird Jerusalem besungen – als Ort mit diesem besonderen Zauber, an dem sie alle aufeinandertreffen: die Suchenden und die Hoffenden, Menschen aus allen Nationen und Religionen. Der jüdische Dichter Jehuda Amichai hat solch einen Text geschrieben. Er wählt dabei ein überraschendes Bild. Er schreibt:

Jerusalem ist ein Karussell, das sich dreht und dreht,von der Altstadt auf die neuen Viertel zu, von dort zurück zur Altstadt. Anstelle von Elefanten und bunten Pferden, um darauf zu reiten, gibt es auf dem Karussell Religionen, die aufsteigen und absteigen und sich drehen an ihrem Scharnier zur Stimme der fetten Melodien aus den Gebetshäusern.

So viele haben sich schon auf den Weg nach Jerusalem gemacht, um den Frieden zu finden, einen Zipfel davon wenigstens. Der Autor Jehuda Amichai selbst auch. 1924 wurde er in Würzburg geboren und musste als Kind 1934 mit seiner Familie aus Deutschland nach Israel fliehen. In Jerusalem hat er eine neue Heimat gefunden, wo er im Jahr 2000 gestorben ist.

Auch er ist also auf das Karussell aufgesprungen, und er weiß: Wer nach Jerusalem kommt, spürt das Vibrieren und das Drehen des Religionskarussells. Vor allem aber spüre ich, dass dort die Wurzeln unserer gemeinsamen Hoffnung auf Frieden sind – die Hoffnung, die Juden und Christen und auch Muslime teilen. Gerade jetzt sehen wir hier aber auch, wie brüchig der Friede ist. Heute wird in den Gottesdiensten um Frieden für Jerusalem gebetet. Wir stimmen als Christen ein in den Psalm – das Gebet, das wir mit den jüdischen Geschwistern teilen.

Wünschet Jerusalem Frieden! Es möge wohlgehen denen, die dich lieben! Es möge Friede sein in deinen Mauern.

Wünschen wir Jerusalem Frieden – und Gaza und Tel Aviv, und Rafah, Bethlehem und den Kibbuzim. Und bleiben wir dran an der Hoffnung auf Frieden und Versöhnung, damit auch hier bei uns niemand Angst haben muss vor Hass und Gewalt. Ich jedenfalls möchte als Christin gern wieder feiern und tanzen mit meinen jüdischen Freunden. Und alle willkommen heißen, die mitfeiern möchten. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und einen Zipfel der Zuversicht, dass der Friede siegt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40424
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