SWR Kultur Wort zum Tag

09AUG2024
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Eine Veranstaltungsankündigung: Dunja Hayali kommt – die bekannte Fernsehjournalistin. Sie spricht über die Macht des Populismus und moderne Streitkultur. Und schon hagelt es Hassmails.


Als ihre Vorlesung an der Tübinger Universität so angekündigt wurde, erhielt die Lokalzeitung „über Nacht 1.400 Hass-Kommentare“. (Tagblatt, 20.6.24) So viele beleidigende, herabsetzende Zuschriften. Ich denke: Wem so massiv Ablehnung entgegenschlägt, dem klebt das auf der Seele. Wie damit umgehen?

Dunja Hayali sagt, sie sorgt dafür, dass „Pöbler aus der Kommentarspalte ihrer Social-Media-Kanäle entfernt werden“ (Tagblatt, 20.6.24).
Doch: Sie bleibt für Kritik erreichbar – auch in den sozialen Netzen: zum Dialog.
Sie sagt: „Wenn der Dialog endet, können wir alle einpacken.“ 
Ich denke: So kann es gehen. Hasskommentare löschen und an anderer Stelle zum Dialog bereit bleiben. Mit digitalen Zuschriften geht das. Doch wie gelingt das in der direkten Begegnung? Von Mensch zu Mensch?

Mir fällt eine Strategie ein, die Paulus empfiehlt. Er greift dabei eine Weisheit aus der Bibel auf: „Der dir Böses will, den versorge und unterstütze.
Wenn er hungert, gib ihm zu essen, wenn er durstig ist, gib ihm zu trinken. Befriedige seine Nöte.“ (Sprüche 25,21f).

Heute nennt man das auch „paradoxe Intervention“. Man tut etwas ganz und gar Unerwartetes, um den anderen zu verblüffen – und ihn so zum Umdenken zu bringen. Versorgst du den Feindseligen, so die Logik von Paulus, dann häufst du „glühende Kohlen auf sein Haupt.“ Das heißt: Reue und Scham können sich bei ihm einstellen, seinen Zorn abkühlen.

Ich habe das schon einmal so erlebt. Im Gespräch mit einem, der so richtig wütend war: auf die Regierung und die da oben - und ihnen alles Böse an den Hals gewünscht hat – er müsse endlos arbeiten und bekomme nichts dafür.
Da habe ich zu ihm gesagt: „In der Not kannst Du zu mir kommen.
Es gibt für Dich bei mir immer etwas zu essen und zu trinken.“
Das hat ihn beruhigt. Nicht, dass er das Essen gebraucht hätte. Das war es nicht. Er hat gebraucht, dass da einer seine Gefühle und seine Wut erst einmal stehen lassen kann. Und schlicht die Erfahrung: Der hält jetzt nicht gleich dagegen.

Der stellt mich nicht gleich in eine Ecke. Der will mir nichts Böses – sondern Gutes. Er musste sogar ein wenig lächeln. Vielleicht über seine Wut? Jedenfalls konnten wir dann weiterreden.

Ob das mit Hass-Mails auch so funktioniert? Da habe ich meine Zweifel. Aber in der persönlichen Begegnung schon. In jedem Fall gilt: Empathie schadet nie.

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