SWR Kultur Wort zum Tag

08AUG2024
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Haben Sie schon einmal dieses Schild gesehen? „K + R“. Mir ist es vor kurzem am Bahnhof in Tübingen aufgefallen. Zum ersten Mal. „K + R“. Was das Kürzel bedeutet, steht drunter: Kiss and Ride.

Nichts Neues ist das, habe ich gelesen. Vor 60 Jahren gab es diesen Slogan schon. Damals sollte er dafür werben: Eine Familie braucht keinen Zweitwagen! Die Frau bringt ihren berufstätigen Mann mit dem Auto zur Bahn – parkt kurz – Küsschen, Küsschen – und fährt dann wieder nach Hause.

Heute ist das natürlich nicht mehr so rollenfixiert gemeint. Heute steht „Kiss and Ride“ einfach für: „Kurzzeitparkplatz“.
Aber das wäre nun wirklich sehr förmlich ausgedrückt - für alles das, was ein Abschied bedeuten kann. Wie viel Poesie, wie viel Lebensfreude steckt dagegen in „Kiss & Ride“! Da geht es um viel mehr als um Parkplätze an belebten Orten.

„Kiss & Ride“ verstehe ich so: Küssen ist passend, erwünscht – vielleicht sogar vorgesehen – und schon gar nicht verboten.
Nach den Corona-Jahren ist das ein Statement. Da wurde vor körperlicher Nähe gewarnt. Die Aufforderung „Kiss & Ride“ war unvorstellbar.
Heute hat „Kiss & Ride“ einen besonders guten Grund, quasi als Nachsorge für versäumte Küsse.

Küsse sind zärtliche Zeichen. Sie stiften Verbindung und Zugehörigkeit. Sie erneuern und stärken Freundschaft und Liebe und Leidenschaft. Bei „Kiss & Ride“ geht es um einen besonderen Kuss – um den Abschiedskuss. Abschiedsküsse wirken nach.
Schon Paulus hat die Christen in Korinth in einem Brief zum „Heiligen Kuss“ ermutigt. (1.Kor 16,20) Ich stelle mir vor, wie sie sich mit einem Kuss untereinander vergewissert haben: Wir gehören zusammen –  zu Jesus Christus – komme, was wolle. Der Kuss erinnert uns daran: Wir bleiben mit dem verbunden, den Gott nicht im Stich gelassen hat. Nicht einmal im Tod.

Ist das zu viel Ernst für einen Abschiedskuss? Überfrachte ich damit den „Heiligen Kuss“? Ich finde nicht. Im Gegenteil: Es gibt ihm Gewicht. Wer weiß, was geschieht...?
Es gibt so viele Momente, die uns voneinander trennen können. Von jetzt auf nachher. „Hoffentlich sehen wir uns wieder!“, „Bleib behütet!“,  „Geh mit dem Segen Gottes!“,  – alles das kann da mitschwingen.

Ich nehme den Kuss als ein Körperzeichen, das mich stärkt - so wie ein Händedruck oder eine Umarmung, - Worte braucht es da nicht. Ob mit religiöser Bedeutung – oder ohne – ich freue mich daran.

Kiss & Ride! Dafür muss ich eigentlich nicht erst zum Bahnhof fahren. Ein Kuss zum Abschied passt auch an der Haustür. Auch ohne Schild!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40410
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