SWR4 Abendgedanken

20AUG2024
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Als ich vor kurzem in einem Bus durch die Stadt gefahren bin, hat sich jemand laut mit seiner Sitznachbarin unterhalten. „Die Menschen sind furchtbar. Sie benehmen sich schrecklich.“ Mehrere Mitfahrende haben sofort zustimmend genickt. Das hat mich ins Nachdenken gebracht. Ist das wirklich so?

Die allermeisten Menschen in meiner Umgebung sind nicht furchtbar, sie begegnen mir freundlich. Morgens auf dem Weg zur Arbeit grüßt man sich in unserer Kleinstadt. Der Junge, der mit seiner Mutter zum Kindergarten geht, winkt mir oft fröhlich zu. Beim Bäcker hält ein Mann mir die Tür auf, die Zeitungsfrau fragt nach meinem Mann, der ein paar Tage krank gewesen ist. Kleine Gesten, die mir guttun, gerade, wenn das Leben nicht einfach nur geradeaus verläuft. Ich glaube, dass dieses Miteinander im Kleinen allen guttut. Der kleine Junge hat vor ein paar Tagen ganz traurig gewirkt. „Hey, was ist denn heute los?“ „Ich komme jetzt in die Schule, ich werde meinen Kindergarten so vermissen.“  Und so kann ich mich mitfreuen, mitsorgen – kann an meinen Mitmenschen Interesse zeigen. Sie sind mir nicht egal. Wenn ich ein wenig von ihnen weiß und sie von mir, dann ist unser Umgang miteinander ein anderer. Schlecht über andere zu reden, ist einfach. In der Bibel heißt es (Prediger 7, 20): „Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der sich in allen Lebenslagen richtig verhält und niemals irgendetwas Schlechtes tut.“

Worte sind schnell gesprochen, Urteile gefällt, erst recht, wenn ein anderer nicht dabei ist. Und was habe ich davon? Einen kleinen Moment fühle ich mich besser, mehr nicht. „Urteile nicht über andere, verhalte dich selbst so gut wie möglich“, könnte man diese biblischen Worte auch zusammenfassen. Klar, das schafft man nicht immer. Auch ich strauchle in manchen Situationen und verhalte mich nicht so, wie ich es von mir erwarte. Dann würde ich mich freuen, wenn jemand mich fragt, was denn eigentlich mit mir los ist. Denn, davon bin ich überzeugt: Menschen sind nicht furchtbar. Furchtbar ist es für mich, wenn wir nicht mehr hinschauen und das Interesse aneinander verlieren. Ich hätte den Mann im Bus fragen sollen, was ihm den gerade passiert ist, dass er alle Menschen furchtbar findet. Vielleicht hätte sich sein Ärger auflösen lassen.

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