SWR1 Begegnungen

11AUG2024
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Martina Steinbrecher, evangelische Kirche, trifft: Mariesophie Magnusson. Die 35jährige Pfarrerin aus Nassau ist schwanger mit Zwillingen. Seither wünschen viele Leute ihr nur das Beste. Was sie an dem oft geäußerten Satz „Hauptsache gesund!“ nicht mag und was stattdessen ihre Hauptsache im Leben ist, davon erzählt sie in den SWR1 Begegnungen.

Teil 1

… und Mariesophie Magnusson. Die 35jährige ist seit vier Jahren Pfarrerin im schönen Nassau an der Lahn. Und sie ist zum ersten Mal schwanger. Mit Zwillingen. Ich habe sie gefragt, was die Nachricht, dass es gleich zwei auf einmal sind, mit ihr gemacht hat. 

Also ich hab mich ehrlich gesagt direkt gefreut. Die Frauenärztin hat es auch sehr, sehr trocken mir mitgeteilt:  O, das sind zwei, und im ersten Moment sind mir schon die Tränchen in die Augen geschossen. Ich fand es eine wunderbare Nachricht.

Zwillingsschwangerschaften werden in Deutschland direkt als Risikoschwangerschaften eingestuft. Und wer mit 35 zum ersten Mal schwanger ist, hat ein zusätzliches Risiko- Kreuz im Mutterpass. Mariesophie Magnusson nimmt diese Risiken ernst und nutzt die Möglichkeiten pränataler Vorsorge. Sie freut sich zum Beispiel, die Entwicklung ihrer Kinder im Ultraschall beobachten zu können.

Ich habe auch den Bluttest machen lassen, wo die Trisomien untersucht werden, einfach auch so mit dem Gedanken, ich würde mich dann gern darauf einstellen. Sollten die Kinder jetzt Trisomien haben, lese ich mir dann vielleicht ein bisschen Literatur an. Dann kann man sich schon mal mit dem Thema beschäftigen, wie es ist, ein Kind zu erziehen, mit einem Kind zu leben, das Trisomie hat.

Die Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, ist ein sogenannter Gendefekt. Die davon betroffenen Kinder kommen mit unterschiedlich stark ausgeprägten Behinderungen zur Welt. Mariesophie Magnusson ist das nicht fremd. Sie ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Und ihr zwei Jahre älterer Bruder ist auch Träger des Down-Syndroms.  

Damit war das für mich direkt eine relativ normale Geschichte, mit einem behinderten Menschen zusammenzuleben und mit ihm dieselben Dinge zu erleben, die man mit den anderen Geschwistern auch erlebt. Wie zufrieden wir sind, also wer welche Lebenszufriedenheit hat unter unseren Geschwistern, hängt nicht davon ab, wer von uns eine Behinderung hat oder nicht. Und ich denke, es ist am Ende ja eine Illusion, dass es Menschen gibt, die komplett gesund sind und auch mit dem Thema Krankheit nie in Berührung kommen werden.

Deshalb stört es sie auch, wenn bei den Vorsorgegesprächen mögliche Behinderungen oft in einem Atemzug mit der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs genannt werden. 

… dass man nicht sagt, machen Sie doch die Untersuchung, dann können Sie sich auf dies oder das vorbereiten, sondern dass diese Frage nach Schwangerschaftsabbruch mit diesen Untersuchungen immer direkt gekoppelt ist inhaltlich. 

„Hauptsache gesund!“ Diesen Satz hört Mariesophie Magnusson, seit sie schwanger ist, dauernd. Was Sie daran nachdenklich stimmt und was für Sie die Hauptsache ist, davon gleich mehr.

Teil 2

Mariesophie Magnusson ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Einer ihrer Brüder hat das Down-Syndrom. Jetzt ist sie selbst mit Zwillingen schwanger und sieht sich ständig mit dem Satz konfrontiert „Hauptsache gesund!“ Das hat sie ins Nachdenken gebracht.

Also, ich merke das bei diesem Satz, dass er mich so richtig körperlich manchmal trifft. Ich lebe selber mit einer Diagnose, ich nehme jeden Tag Medikamente ein. Und wenn ich dann den Satz höre, Hauptsache gesund, klingt bei mir immer direkt mit: Was, wenn nicht? Was ist dann? Ist dann weniger Grund zur Freude? Ist das Leben dann weniger wert oder das Kind?

Den Wunsch, ein gesundes Kind zu bekommen, findet auch Mariesophie Magnusson nachvollziehbar. Und es gibt ja auch wirklich Behinderungen, die Eltern und Kindern bis an die Grenzen der Kräfte das Äußerste abverlangen. 

Es ist schon ein Faktor, der das Leben beeinflussen kann und der auch, glaube ich, Aufmerksamkeit braucht oder eben Solidarität, Zusammenhalt, Menschen, die Eltern unterstützen, die Kinder zu pflegen haben, das ist schon auch schon wichtig; ja, das will ich nicht kleinreden.

Die Entscheidung für oder gegen ein Kind liegt heute ganz bei den Eltern, in vielen Fällen sogar allein bei der Mutter. Ihr Recht und ihre individuellen Lebensumstände werden großgeschrieben. Mariesophie Magnusson wünscht sich aber, dass die Gesellschaft hier auch Verantwortung übernimmt. Sie möchte ein gesellschaftliches Klima, in dem auch Kinder mit Behinderungen willkommen sind und wo es nicht als exotisch angesehen wird, wenn Eltern sich für das Leben mit einem behinderten Kind entscheiden. 

Ich glaube, dass es uns als Gesellschaft guttun würde, wenn wir einfach da vom Normalfall ausgehen, dass wir in bestimmten Graduierungen alle mit dem Thema Krankheit zu tun haben und uns da gegenseitig mit Solidarität begegnen. Und das würde ich mir für meine Kinder auch wünschen. Sie sind wertvoll. Sie sind ihren Eltern willkommen und von ihren Eltern geliebt. Sie sind aber auch in der Gesellschaft willkommen und bekommen nicht zu viele Barrieren in den Weg gestellt.

„Hauptsache gesund!“ Diesem verständlichen Wunsch würde Mariesophie Magnusson gerne noch einen zweiten an die Seite stellen:

Hauptsache geliebt. Das ist für mich die Hauptsache, dass Menschen spüren, sie sind geliebt und sie sind willkommen.

Ihre Schwangerschaft hat Mariesophie Magnusson in diesem Gedanken bestärkt. Was sie als Christin glaubt und als Pfarrerin weitergibt, hat sie sozusagen am eigenen Leib erfahren:

Dieses Leben habe ich jetzt nicht hervorgezaubert, das kommt woanders her. Das spürt man sehr existentiell, wenn es im eigenen Bauch geschieht, dass da Leben entsteht und man diese Unverfügbarkeit auch nochmal ganz anders spürt. Und auch diese Hoffnung, auch der Glaube daran, dass dieses Leben geborgen ist, egal, was damit passiert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40376
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