Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Neulich bin ich schon ganz früh am Morgen aufgebrochen. Es war noch stockdunkel draußen, ich habe nur ein paar Meter weit gesehen. Aber gehört habe ich etwas, laut und deutlich: Die Vögel haben schon gesungen. In den höchsten Tönen haben sie den kommenden neuen Tag begrüßt. Von dem ich noch gar nichts gemerkt habe zu dem Zeitpunkt.
Warum machen die Vögel das? Was ahnen, spüren sie da? Natürlich gibt es gute biologische Erklärungen dafür. Mit einem die Nacht über gebildeten Hormon könnte es zusammenhängen. Oder mit der frühmorgens besseren Ausbreitung des Schalls in der Luft. Oder die Männchen wollten sich vor der Brutzeit einfach als besonders einsatzfreudige Partner präsentieren. Vielleicht ist an allem davon was dran.
Für mich hatte dieses frühmorgendliche Erlebnis zugleich noch etwas Tieferes. Dass etwas wirkt, obwohl es noch gar nicht da ist, das kenne ich auch sonst aus meinem Leben. Den Urlaub zu planen zum Beispiel, – manchmal ist bereits das richtig erholsam. Wenn ein schönes Fest ansteht oder ein lang ersehnter Besuch, dann genieße ich auch schon die Vorfreude darauf. Oder wenn ich Hoffnung habe, dass eine schwere Sache sich zum Guten wendet, dann wird es schon damit ein Stück besser. Die Hoffnung ist dann wie eine Triebfeder, hat bereits für sich einen Wert.
In der Bibel gibt es das auch, und zwar in ganz großen Zusammenhängen. Die Völker „werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln“, schreiben die alten Propheten Micha [in 4,3] und Jesaja [in 2,4]. Und weiter: „Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Diese Texte sind vermutlich mitten in Krieg und Zerstörung entstanden. Da sah es wenig nach Frieden aus. Und trotzdem haben Menschen dadurch Kraft gefunden, das Leben weiterzuleben und weiterzugeben. Damals – und hoffentlich auch heute.
Haben die Vögel an diesem einen frühen Morgen gesungen, weil sie den Tag gespürt haben? Oder haben sie umgekehrt mit ihrem Gesang den Tag erst hervorgelockt? Auf mich hat das fast so gewirkt. Und dann wurde es tatsächlich hoffnungsvoll hell nach und nach. Äußerlich um mich herum – und auch in mir drin.
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