Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es war mir immer etwas unangenehm, Menschen mein Beileid auszusprechen. „Mein Beileid - was soll denn das bedeuten?“, habe ich gedacht. Das ist doch nur eine Floskel. In Wirklichkeit kann ich doch gar nicht ermessen, welches Leid und welche Trauer die Hinterbliebenen tragen. Mir war das irgendwie zu wenig. Deshalb habe ich solche Beileidsbekundungen auch oft vermieden, auch weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass mir so eine Floskel selbst weiterhelfen würde.

So habe ich lange gedacht. Aber nachdem mein Vater verstorben war, habe ich meine Meinung sehr geändert. Da kamen eine Menge Beileidsbekundungen auf mich zu. Seltsamerweise habe ich aber die wenigsten als unangenehm empfunden. Im Gegenteil, ich habe mich meistens gefreut, wenn Menschen auf mich zugekommen sind und mir ihr Beileid ausgesprochen haben.
Was sollen die Menschen auch sagen? Wenn ich jemandem begegne, der in Trauer ist, dann fehlen mir oft die richtigen Worte. Da kann man auch viel Falsches sagen. Deshalb ist in unserer Gesellschaft die Beileidsbekundung üblich geworden. Ich weiß zwar nicht wie es zu diesem Ritual gekommen ist, aber anscheinend hat es sich bewährt.
Kein Trauernder erwartet, dass sein Gegenüber mit ihm mittrauert. Es ist ja klar, dass der Todesfall einem mehr oder weniger entfernten Menschen nicht so an die Nieren gehen kann wie den nächsten Angehörigen. Aber es heißt ja auch nicht „mein Mit-Leid“, sondern „mein Bei-Leid“. Wer dem anderen sein Beileid ausspricht sagt im Grunde: „Ich leide zwar nicht, aber dass du leidest und in einer schwierigen Situation bist, das sehe ich. Ich stehe bei dir in deiner Trauer, wenn auch nur für einen kurzen Moment“.
„Mein Beileid“ - Natürlich kommt es auch darauf an, wie man das sagt. Trauernde hören echte Anteilnahme ziemlich gut heraus und können unterscheiden ob es sich nur um eine Floskel handelt oder Mitgefühl dahinter steckt.
Andere Kulturen haben andere Rituale. Ich habe von einer deutschen Frau gelesen, die wurde nach dem Tod ihres Mannes von ihrer arabischen Nachbarin besucht. Die Nachbarin kam in die Wohnung, stimmte ein lautes Klagen an, nahm die Witwe dann fest in den Arm und ging wieder. Die trauernde Frau sagte, das habe ihr sehr gut getan.
Wir Mitteleuropäer sind da etwas reservierter. Aber ich finde: auch mit unserer kurzen Beileidsbekundung kann man viel ausdrücken.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4035
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