Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Halb voll oder halb leer – sicher kennen Sie das: da schätzen zwei Menschen eine Situation ganz verschieden ein. Der eine sagt: das Glas ist halb voll. Und der andere sagt. Es ist halb leer. Ohne, dass sich am Inhalt etwas geändert hat.

Manchmal geht es einem ja mit sich selber so: da findet man etwas schön und ist zufrieden und am nächsten Tag ist genau dieselbe Sache schrecklich. Zum Beispiel die Frisur oder die alte Jeans.
Schlimmer wird es, wenn für einen Menschen das ganze Leben mal so und dann wieder ganz anders aussieht. Wenn an einem Tag alles gut erscheint und am nächsten macht alles keinen Sinn mehr. Dann weiß man manchmal gar nicht mehr, wo man mit sich selber dran ist. Und die anderen wissen es erst recht nicht.
In der Bibel gibt es Gebete von Menschen, denen es so ging. Sie wussten nicht mehr, wie es weiter gehen soll. Nicht mal Gott kann mir noch helfen, dachten sie.
„Hast du mich für immer vergessen, Gott?“ fragt da ein Mensch ganz verzweifelt. „Wie lange willst du dich noch verbergen?“ (Psalm 13)
Und dann erzählt er, was los ist. Sorgen machen ihn verrückt. Er erstickt in Depression und dann gibt es auch noch andere Menschen, die ihm Böses wollen und seine Feinde sind.

Da scheint das Glas nicht nur halb, sondern ganz leer zu sein. Gar nichts ist so, wie es sein sollte.

Aber plötzlich schlägt die Stimmung um und im nächsten Satz sagt der Beter:
„Ich juble über deine Hilfe. Mit meinem Lied will ich dir danken, weil du so gut zu mir gewesen bist.“

Das klingt fast so, als ob jemand anderes redet.
Dabei kann sich doch so schnell gar nichts geändert haben.

Äußerlich wahrscheinlich wirklich nicht. Aber innerlich vielleicht schon. Ich kann mir vorstellen, dass es dem Menschen geholfen hat, einfach mal Gott zu sagen, wie es ihm eigentlich wirklich geht. So ohne Verstellung und ganz ehrlich. Da ist er wohl ganz viel los geworden, von dem, was ihn belastet. Von seiner Enttäuschung, dass Gott sich nicht kümmert. Und von seiner Wut, dass die anderen so gemein sind. Das alles hat er Gott geklagt.
Danach war er wie befreit und konnte wieder anders auf sein Leben schauen. Und
plötzlich konnte er wieder erkennen, was eigentlich doch ganz gut ist.

Der Beter zeigt mir: Ob halb voll oder halb leer, das ist nicht nur Ansichtssache. Das kann sich verändern, wenn ich das, was mich beschäftigt, einfach Gott erzähle – so wie einer guter Freundin.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3925
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