Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

In einem kleinen Dorf in der Nähe von Shanghai lebt Lin. Die Bewohner achten sie, weil sie freundlich ist und friedfertig. Einmal fragt sie der Dorfvorsteher, wie sie zu ihrer Freundlichkeit gekommen sei. Da lächelt Lin und sagt: „Ich bin stets in der Nähe Gottes gewesen.“
Der Dorfvorsteher fragt Lin weiter: „Wo bist du Gott nahe gewesen?“ Lin schaut sich um, blickt zum Himmel und zur Erde und meint: “Der Gesang der Vögel, das Funkeln der Sterne und der Glanz der Sonne erzählen von Gott. Von ihm erzählen die Jahreszeiten: Im Winter die Schneeflocke und das Eis, das sich am Zweig bildet; im Frühling das Summen der Hummeln und das Aufbrechen der Knospen. Im Sommer schmücken die Blumen die Wiesen. Das reife Korn, die herbstlichen Blätter und der brausende Sturm, alles kündet von Gott.“
Lin sieht den Dorfvorsteher eine Weile an und fährt fort: „ Willst du Gott aber spüren, dann geh in die Großstadt. Betrachte die Menschen, die zur Arbeit eilen, den Verkäufer, der gekonnt sein Obst ausbreitet, das Paar, das seine Mittagspause geniest, den alten Mann, der sich auf einer Parkbank ausruht. – Vor allem aber stürze dich am Abend in das Getümmel der Großstadt, wenn die Lichter der Warenhäuser erstrahlen, die Menschen in den Restaurants zu Abend essen. Genieße die Zeit, die wenn das grelle Neonlicht allmählich erlischt, wenn der Lärm in den Straßen verebbt und wenn die Nacht sich wie ein dunkles Tuch auf die Dächer legt.“ Lin holt tief Luft und nickt: „Ja, auch in der Unruhe der Großstadt erfährst du Gott.“ Nach einer Weile sagt sie: „Willst du aber Gott sehen, dann gehe in den Kindergarten. In jedem Gesicht der Kinder spiegelt sich Gott wieder.“

Die Geschichte steht auf den ersten Seiten in einem Religionsbuch für Kinder der 3. und 4. Klasse. Als Religionslehrerin einer 3. Klasse frage ich die Kinder, wie sie sich das vorstellen, wenn ein Mensch stets in der Nähe Gottes ist. „Dann spürt man Gott in seinem Herzen“, sagt Carola. „Das ist jemand, der betet und viel an Gott denkt“, findet Alex. „Das ist jemand, der die Menschen lieb hat“, glaubt Silvio. Als ich die Kinder frage, ob sie selbst Menschen kennen, die in der Nähe Gottes sind, kommen ebenso erstaunliche Antworten. Strahlend sagt Manuel: „Meine Oma. Die freut sich immer so, wenn ich komme. Dann spielt sie mit mir und kocht mein Lieblingsessen. Und am Abend betet sie mit mir.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=3878
weiterlesen...