Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Meine Freundin liebt ihren Garten. Sie sitzt gern draußen mit dem Laptop oder der Kaffeetasse, sie genießt die Abende auf der Terrasse mit Freunden, sie freut sich, wenn die Kinder auf der Wiese Fußball spielen. In den letzten Jahren ist ihr Garten allerdings ein bisschen herunter gekommen. Wo es mal Rosen gab, Bartnelken und Rittersporn, sogar ein paar Erdbeeren und Tomaten, sieht man jetzt vor allem Löwenzahn, Ackerwinden und Quecken. Meine Freundin hat keine Zeit, sich darum zu kümmern. Sie ist unglücklich darüber. „Ich habe gar keine rechte Freude mehr an meinem Garten“, sagt sie. „Die Sonne scheint, die Vögel singen, aber ich sehe immer das Unkraut und die verlotterten Blumenbeete. Aber ich wüsste gar nicht, wo ich jetzt anfangen soll. Das kriege ich doch nicht wieder hin.“
Meine Freundin hätte ihren Garten gern anders. So, wie er geworden ist, ist er ihr eigentlich bloß noch eine Last, die sie drückt. Sie hat ihn nicht gepflegt – und jetzt ist es mit der Liebe schwierig geworden.
Oder ist es umgekehrt: war die Liebe vielleicht doch nicht so groß, wie sie gedacht hat? Oder ist Liebe überhaupt etwas anderes, als schöne Stunden miteinander genießen und Freude aneinander haben, wenn alles gut läuft? Vielleicht gilt das alles sogar auch für die Liebe zwischen Menschen: wenn man sie nicht pflegt, dann verkommt die Beziehung irgendwie und am Ende sieht man eigentlich bloß noch Gestrüpp, das alles überwuchert.
Wahrscheinlich hat Paulus, der Lehrer der ersten Christen, das gewusst. Denn wo er über die Liebe schreibt, da beschreibt er nicht romantische Gefühle, sondern: Verhaltensweisen. „Die Liebe ist lang-mütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Bö-se nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ (1. Kor 13, 4-7)
Das sind für Paulus Merkmale der Liebe. Natürlich denkt er dabei nicht an die Liebe zum Garten, son-dern an die Liebe zwischen Menschen. Aber für beide gilt anscheinend: Für das, was man liebt, muss man sich Mühe geben. Und man muss sich Zeit nehmen. Für den Garten genauso, wie für andere Menschen.
Ich bin gespannt, wie es mit dem Garten meiner Freundin weiter geht. Wahrscheinlich müsste sie sich von einem Profi helfen lassen, also einen Gärtner bestellen, der in Ordnung bringt, was sie hat ver-kommen lassen. Dann könnte sie vielleicht wieder Freude an ihrem Garten haben.
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