SWR2 Wort zum Tag

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Seit ich vor einigen Wochen im südlichen Afrika war, sehe ich die Bilder und höre ich die Nachrichten aus dem Schwarzen Kontinent mit anderen Augen und Ohren. So verfolge ich auch aufmerksam die Ereignisse im Nachbarland Simbabwe. Tausende fliehen zur Zeit aus dem geschundenen Land über die Grenze nach Südafrika. Rund 120.000 Flüchtlinge muss das Land am Kap täglich verkraften. Außer aus Simbabwe kommen sie auch aus vielen anderen Krisenregionen Afrikas. In der Nähe von Johannesburg habe ich gesehen, wie eine Riesenstadt für fast eine Million heimatloser Menschen entsteht. In den letzten Tagen ist es in den armen Schwarzensiedlungen am Rande der Großstädte immer wieder zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen gegenüber den Flüchtlingen gekommen. Die Armen fühlen sich durch die noch Ärmeren in ihrer eigenen Existenz bedroht und rächen sich an diesen für das eigene Elend.
In Johannesburg habe ich das Bienvenue Shelter besucht, eine Aufnahmestelle für Flüchtlingsfrauen und ihre Kinder. Seit einiger Zeit suchen immer mehr Frauen mit ihren Kindern Aufnahme in Südafrika. Irgendwann hoffen sie wieder mit ihren verschollenen Männern zusammen zu treffen - falls diese noch leben und in Freiheit sind.
Zehn Frauen und zwölf Kinder lebten in dem Bienvenue Shelter, als ich dort war. Höchstens 45 Personen kann das Heim aufnehmen, das von Schwester Luciana geleitet wird. Die Frauen und Kinder haben teilweise abenteuerliche Fluchtwege hinter sich, erzählt die brasilianische Ordensfrau. Oft sind sie sehr krank und traumatisiert. Deshalb werden sie von Ärzten und Psychologen betreut. Für die kleinen Kinder gibt es einen Kindergarten, die größeren können eine Schule besuchen. Drei Monate darf das Bienvenue Shelter sie aufnehmen, so erlaubt es die Regierung; in dieser Zeit müssen sie Englisch lernen, können an Computer- oder Nähkursen teilnehmen und müssen sich darauf vorbereiten, das Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen.
Beim Abschied sagt eine Frau zu mir: „Vergessen Sie uns nicht.“ Sie ist mit ihren sechs Kindern hier. Was aus ihrem Mann geworden ist, weiß sie nicht. In wenigen Tagen muss sie hier ausziehen. Was dann aus ihr und ihren Kindern wird? Sie zuckt nur mit den Schultern.
„Vergessen Sie uns nicht.“ Es ist das einzige, was ich für sie tun kann: sie nicht in Vergessenheit geraten lassen; auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Stellvertretend für die Ungezählten, von denen niemand etwas weiß.
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