SWR1 3vor8

16JUL2023
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Wenn zwei sich Hals über Kopf ineinander verlieben, dann ist ihnen die Welt um sie herum meistens ziemlich schnuppe. Die beiden haben dann nur noch Augen füreinander und leiden an mindestens mittelschwerem Realitätsverlust. Liebe macht blind, sagt der Volksmund. Blind für das, was außerhalb dieser Liebe in der Weltgeschichte alles vor sich geht, blind für alles, was am anderen nicht aus Gold und Zucker ist.  

Anscheinend macht diese Art von Blindheit noch nicht einmal vor Gott selber Halt. Im Buch des Propheten Jesaja lese ich, wie Gott das Völkchen Israel geradezu anschmachtet: „Du bist kostbar und wertvoll für mich und ich hab dich lieb. Deshalb gebe ich Menschen für dich preis und setze Völker für dein Leben aufs Spiel. Ich habe Ägypten als Kaufpreis für dich bezahlt, dazu noch viele andere Länder.“ Wer die Geschichte Israels kennt, kann bei dieser Darstellung nur mit dem Kopf schütteln. Denn in Wirklichkeit verhält es sich genau andersherum: Das kleine Land wird immer wieder zum Spielball der umliegenden Großmächte, wird mal von Ägypten im Westen beherrscht, mal von den Assyrern oder Babyloniern im Osten überrannt. Auf dem Auge historischer Tatsachen scheint Gott jedenfalls völlig blind zu sein.  

Trotzdem ist mir seine realitätsferne närrische Liebe sehr sympathisch. Denn weil sie vieles ausblendet, hat sie auch keine Angst vor dem, was groß und mächtig gegen sie zu sprechen scheint. Weil sie blind ist, kann sie auch nicht geblendet werden. Unbeirrt bleibt sie dem Geliebten treu.    

Ich lerne daraus: Wer sich immer nur an das hält, was realistisch scheint, wird auch nur das zustande bringen, was machbar ist. Wer liebt, kann auch Unmögliches zustande bringen. Um stark zu sein, muss die Liebe wohl auf einem Auge blind sein. Und ist es nicht stark, was der verliebte Gott sagt: „Wenn du durch Wasserfluten gehst, bin ich bei dir. Reißende Ströme spülen dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, verbrennst du nicht. Die Flammen können dir nichts anhaben. Fürchte dich also nicht, denn ich habe dich befreit, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mir.“  Diesen Worten Gottes will ich vertrauen. Blind.   

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