Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Was ist das: Eine Frau mit zwei Gesichtern. Eines schaut nach vorn, eines schaut nach hinten. Das Gesicht, das nach vorn schaut, sieht durch ein Fernrohr. Das, das zurückschaut, sieht in einen Handspiegel, in dem sich das rückwärts gerichtete Gesicht spiegelt. Ein bisschen viel am Montagmorgen, ich weiß, deshalb auch gleich die Antwort: Das ist das Bild für die zweite der vier Kardinaltugenden: die Klugheit.
Warum eine Frau als Bild für die Klugheit? Vielleicht weil mit dem Wort „klug“ etwas feinsinniges, zartes, feinstoffliches verbunden wird. Das Wort klug stammt vom mittelhochdeutschem „kluoc“ und bedeutet unter anderem fein, zart, zierlich und hübsch. Aber auch gebildet und geistig gewandt. Und das passt sehr gut zu den zwei Gesichtern. Das das nach vorn gewandt ist zeigt die vorausschauende Seite der Klugheit. „Der kluge Mann baut vor“, heißt es doch im Volksmund (oder wie es der Schriftsteller Lichtenberg einmal ausgedrückt hat: „Die Klugheit eines Menschen lässt sich aus der Sorgfalt ermessen, mit der er das Künftige bedenkt.“) Deshalb auch das Fernrohr bei dem Bild der Klugheit.
Beim Blick zurück schaut die Klugheit in einen Spiegel und erkennt sich selbst. Nicht nur aus den Fehlern, aus denen sie klug geworden ist, sondern auch aus der Selbstreflexion. Daraus, dass sie über das, was sie getan hat nachdenkt. Sei es gut oder schlecht. Das ist ein weiterer Wesenszug der Klugheit. Dass sie zurückschaut, nachdenkt, sich selbst reflektiert und dadurch lernt und sich gegebenenfalls auch verändert. Oder, wie es Konrad Adenauer mal ganz nett gesagt hat: „Es kann mich doch niemand daran hindern über Nacht klüger zu werden.“
Aber damit die Tugend Klugheit, zur besonderen, zur Kardinaltugend werden kann, muss noch was ganz Wichtiges dazu kommen. Dass ich auch zum Wohl des Anderen oder der Gesellschaft denke und handle. Handle ich klug nur zu meinem Vorteil ist es nichts anderes als Schlauheit oder Verschlagenheit. Will ich aber das Gute auch für Andere erreichen, wird die Klugheit zu Kardinaltugend. Zum Beispiel bei einem ganz alltäglichen Gespräch, das der Philosoph Arthur Schopenhauer im Sinn hatte als er schrieb: „Wer klug ist wird im Gespräch weniger an das denken, worüber er spricht, als an den, mit dem er spricht. Solange er dies tut, ist er sicher auch nichts zu sagen, was er nachher bereut.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3791
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