Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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09JUN2023
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Einmal, ein einziges Mal ist in der Bibel ausdrücklich von Schutzengeln die Rede – in Psalm 91: „Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Ich kann gar nicht mehr zählen, wie vielen Kindern ich diesen Satz schon als Taufspruch mitgegeben habe. Verständlich – denn Eltern haben immer auch Angst um ihre Kinder. Die wenigsten wissen aber, wie der Psalm weiter geht. Da steht: „Wenn auch tausend zu deiner Seite im Kriegsgetümmel fallen und zehntausend zu deiner Rechten, dich wird es nicht treffen.“ Da wird das Bild krass auf die Spitze getrieben, und ich muss sofort an die Menschen in Bachmut in der Ukraine denken, wo zig Tausende im Kampf um ein paar Meter hin oder her ihr Leben gelassen haben. „Dich wird es nicht treffen.“ Sagen sich das die Soldaten am Morgen? Ist es das, was sie gehen, kämpfen, sterben lässt?

Wie auf einem Kriegsschauplatz fühle ich mich auch, wenn meine Eltern sagen: „Die Einschläge kommen näher!“ Sie sagen das, wenn sie in der Zeitung die Todesanzeige eines früheren Schulkameraden entdecken. Und staunend feststellen: Ich bin noch da. Mich gibt es noch. Ich bin unversehrt geblieben.

Diese Erkenntnis ist aber nicht nur schön, sie kann auch ambivalent und belastend sein. Von Überlebenden großer Katastrophen weiß man, dass sie sich sogar dafür schämen, dass sie am Leben sind. Mir geht es ähnlich, wenn ich erfahre, dass wieder eine Freundin von mir an Krebs erkrankt ist. Ich kann mich in so einem Moment unmöglich freuen, dass es mich nicht getroffen hat. „Es reicht jetzt, Gott im Himmel“, habe ich erst vor wenigen Tagen ausgerufen, als schon wieder so eine Nachricht bei mir eingeschlagen hat.

Immer wieder kämpfe ich deshalb auch mit diesem Satz aus Psalm 91 und mit seinen Schutzengeln. Ich denke an meine Freundinnen, an die Menschen in den Kriegsgebieten und auch an meine älter werdenden Eltern. Und sage zu Gott: „Um diesen Menschen mache ich mir Sorgen. Ich möcht ihm helfen, und ich kann es nicht. Da wünschte ich, er wär in dir geborgen und fände aus dem Dunkel in dein Licht.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37792
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