SWR1 Begegnungen

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29MAI2023
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Judy Bailey und Patrick Depuhl Copyright: Darius Ramazani.

Christopher Hoffmann trifft: Judy Bailey und Patrick Depuhl, Musiker-Ehepaar

Judy wurde in London geboren und ist in der Karibik, auf Barbados, aufgewachsen. Patrick, geboren in Duisburg, ist am Niederrhein groß geworden. Inzwischen sind Sie seit über 25 Jahren verheiratet, haben drei gemeinsame Söhne im Teenageralter und sind um die ganze Welt getourt. Und Sie haben ein sehr inspirierendes Buch geschrieben mit dem Titel „Das Leben ist nicht schwarz-weiss“.* Darin werden die beiden auch sehr persönlich und begeben sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln, zu ihren Vorfahren. Im Fall von Judy als Schwarzer Frau in die Zeit des Sklavenhandels:

Judy Bailey:

Es war mir immer sehr bewusst, dass mein Hintergrund - obwohl ich auf Barbados aufgewachsen bin - nicht auf Barbados angefangen hat. Wenn ich darüber nachdenke meine Geschichte, dass Europäer sind nach Afrika gegangen, Westafrika, Leute versklavt, Leute einfach „gekauft“ in Anführungsstriche und mitgenommen nach Barbados, um da Plantagen aufzubauen und Leute waren schrecklich behandelt.

Für Judy Bailey ist die Bibel ein sehr wichtiges Buch. Dort steht in der Lesung zu Pfingsten: „Sklaven und Freie, […] alle wurden in dem einen Geist getränkt.“ (1 Kor 12,13). Was denkt die 54-Jährige, wenn Sie diesen Vers hört?

Judy Bailey:

Wenn ich diesen Vers höre, heißt das für mich: Wir sind gescheitert. Weil das ist nicht, was die Vergangenheit zeigt und leider teilweise auch heute nicht. Das ist für mich eine sehr klare Botschaft und Erinnerung, dass wenn besonders wir als Kirche, wenn wir sagen und wenn wir möchten als Christen leben, dann müssen wir das ganz ernst nehmen und Liebe zeigen, wenn unser Glaube basiert ist auf Liebe, dann muss das wirklich in der Tat zu sehen sein, nicht nur mit Worten.

Ihr Mann Patrick, 53, sitzt neben ihr und nickt. Auch er hat eine besondere Biographie, die mit schwarz und weiss zu tun hat.  Sein Vater kam in einem so genannten „Lebensborn“-Heim der SS auf die Welt, die der Naziverbrecher Heinrich Himmler hatte bauen lassen, damit dort mehr „arische“ Kinder zur Welt kommen…

Patrick Depuhl:

Ja tatsächlich waren es etwa 10.000 Kinder, die in deutschen Heimen zur Welt gekommen sind. Es gab noch einige mehr über Europa verteilt, vor allem in Norwegen war das Stichwort: „Aufnordung der deutschen Rasse.“ Für uns war das dann relativ krass zu sehen: Sein Leben wurde als „wertes“ Leben beschrieben und das Leben vieler Sklaven und Schwarzen als „unwertes“ Leben.

Eine Generation später ist ihre Familie ein lebender Beweis, dass auch eine andere Welt möglich ist:

Patrick Depuhl:

Hätten wir damals die Familie gehabt, die wir jetzt haben, mit drei Kindern, auch noch Kinder die heißen Levy, Noah, Jakob - jüdische Namen- , das wäre alles lebensgefährlich gewesen. Ich weiss noch als ich der Expertin dieses Lebensborn-Heims einen Brief schrieb: „Das haben wir Himmler ziemlich versaut“! Hey, wären wir schwarz und weiss , wären unsere Kinder grau, das sind sie nicht! Gott ist ein wunderbarer, bunter, lebendiger Gott und das müssen wir als Geschenk nehmen und eben nicht diese ganzen Trennungen und Teilungen und Einteilungen und Schubladen. Wo sein Geist uns zusammenbringt, da werden wir wirklich Menschen.

Ich treffen Judy Bailey und Patrick Depuhl in ihrer Wohnung am Niederrhein. Hier haben sie nach Konzerten auf allen Kontinenten dieser Welt ein zu Hause gefunden. Aber auch der Glaube an Gott ist für die Musiker ein zu Hause, eines, das ihnen überall Halt gibt – und das feiern sie auch heute, an Pfingsten:

Judy Bailey:

Es ist möglich für alle Leute, überall, wer auch immer du bist, wenn du möchtest du hast die Möglichkeit eine Begegnung zu haben mit Gott und das für mich ist Pfingsten. Ich glaube, dass der Geist möchte mit uns arbeiten. Und durch uns arbeiten. Und weil die Botschaft ziemlich klar ist in der Bibel und weil ich glaube, dass der Geist lebt und relevant ist, ich glaube, dass wir Dinge ändern können.

Dinge ändern – das wollen sie auch, wenn sie an ganz besonderen Orten Musik machen. Zum Beispiel an der Copacabana beim Weltjugendtag in Rio vor Millionen Menschen. Oder jetzt bald wieder beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Aber auch an ganz stillen Orten: zum Beispiel als sie eine sterbende Frau in ihren letzten Stunden begleiten, weil sie sich Musik von den beiden gewünscht hat. Oder bei einem Fest in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen. Oder bei einem Konzert in einem Kinderhospiz:

Patrick Depuhl:

Und dann schrieb später der Leiter des Hospizes: Ihr habt so viel Lebensfreude gebracht. Wir haben in einer Kapelle gespielt.  Oder einfach auf dem Bahnhof. Es war die Osternacht und ich weiß noch es haben Obdachlose in der ersten Reihe getanzt – und das sind schon ganz besondere Erinnerungen. Oder in der Justizvollzugsanstalt Essen war das, da gab es einen Männerchor und der hat so mit Inbrunst gesungen, und das war nicht nur vierstimmig, das war 23-stimmig, genau so viele wie das waren und das war so ansteckend: Und ich weiß noch diese eine Zeile: „Wie ist Versöhnung? So ist Versöhnung-wie ein Schlüssel im Gefängnis!“ Und ich dachte: Boah, das gibt diesem Lied noch mal eine ganz andere Kraft, einen ganz anderen Raum!

Die beiden sagen: „Wir gehen auch dahin, wo es weh tut“. Und trotzdem strahlen sie während unserer Begegnung eine Leichtigkeit und Lebensfreude aus, die wirklich ansteckend ist. Wo kommt das her?

Judy Bailey:

Ich glaube es kommt von diesem Durchleben von schweren Sachen mit Gott mittendrin und das Wissen, dass Gott da ist und dass es weitergeht und diese Hoffnung ist irgendwie in mein Herz gepflanzt.

*Patrick Depuhl und Judy Bailey: Das Leben ist nicht schwarz-weiss. Geschichten von Wurzeln, Welt und Heimat, adeo Verlag Asslar, 2021.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37741
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