SWR2 Zum Feiertag

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29MAI2023
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Judy Bailey und Patrick Depuhl Copyright: Darius Ramazani.

Christopher Hoffmann spricht mit den Musikern Judy Bailey und Patrick Depuhl

Christopher Hoffmann:

Ich bin Christopher Hoffmann von der katholischen Kirche. Heute am Pfingstmontag spreche ich mit den Musikern Judy Bailey und Patrick Depuhl. Sie Judy, sind in London geboren und in der Karibik, auf Barbados, aufgewachsen. Sie Patrick sind in Duisburg geboren und am Niederrhein groß geworden. Inzwischen sind Sie seit über 25 Jahren verheiratet, haben drei gemeinsame Söhne im Teenageralter und sind um die ganze Welt getourt. Und Sie haben ein wie ich finde sehr inspirierendes Buch geschrieben mit dem Titel „Das Leben ist nicht schwarz-weiss“.* Sie wollen damit gegen das schwarz-weiss Denken ankämpfen und es aufbrechen und deshalb, finde ich, hat dieses Buch auch viel mit dem Pfingstgeist zu tun, der uns ja auch herausfordern will uns immer wieder zu öffnen, unsere vielleicht festgefahrenen Meinungen zu überdenken und offen in die Welt zu schauen. Was feiern Sie heute an Pfingsten, Judy und Patrick?

Judy Bailey:

Es ist möglich für alle Leute, überall, wer auch immer du bist, wenn du möchtest du hast die Möglichkeit eine Begegnung zu haben mit Gott. Und das ist für mich Pfingsten. Ich glaube, dass der Geist möchte mit uns arbeiten. Und durch uns arbeiten. Und weil die Botschaft ziemlich klar ist in der Bibel und weil ich glaube, dass der Geist lebt und relevant ist, ich glaube, dass wir Dinge ändern können.

Patrick Depuhl:

Wenn ich an das erste Pfingsten denke, dann sehe ich da eine Gruppe von Jüngern und Jüngerinnen, die nicht so genau wusste was ihnen geschah, als Gottes Geist ihnen nahekam und ihnen Kraft gab und so ihre Gaben entfaltete und sie zu - im wahrsten Sinne des Wortes - begeisternden Menschen machte, die andere auch ansteckten mit dieser Kraft Gottes. Und Leute hatten so den Eindruck für einen Moment Gott ist mir nah auch durch diese Menschen. Und ich glaube das feiere ich Pfingsten, dass Gott immer noch nah kommen kann auf ganz überraschende, ungewöhnliche Arten und tatsächlich uns durch andere Menschen begeistert.

Die Texte aus dem Buch „Das Leben ist nicht schwarz-weiss“ haben finde ich eine ganz klare Botschaft: Vor Gott haben alle Menschen die gleiche Würde – unabhängig von Hautfarbe, von Herkunft oder Nation. Das ist für mich auch eine Pfingstbotschaft, denn in der Lesung zum heutigen Pfingstmontag, da sagt Petrus in der Apostelgeschichte: „Jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apg 10,34-35) Warum ist Ihnen diese Botschaft so wichtig?

Patrick Depuhl:

Ich glaub tatsächlich, dass ist so dieser Blick Gottes. Und manchmal sehen wir uns und denken, mir ist Gott vielleicht ein bisschen näher, weil ich so und so bin. Das ist eigentlich schön, dass du diesen Vers ausgesucht hast, dass Petrus das an so einem Tag auch erkennt: Moment, ich hab´s gar nicht gemerkt, ich hab immer so auf mich geachtet! Und ich merk: Ne, jeder von uns kann beten: „Unser Vater im Himmel“, das ist immer so ganz unmittelbar: mit einem Gespräch, mit einem Gebet bin ich wirklich an Gottes Ohr, an Gottes Herz. Das ist für mich voll die Pfingstbotschaft, dass Gott uns so nah ist und uns den Wert zuschreibt, weil wir haben die Tendenz zu sagen: Oh, du hast ne Behinderung,  oh, du hast nicht die richtige Hautfarbe, vielleicht mag Gott dich nicht so gerne, oder andersrum.

In dem Buch werden Sie auch sehr persönlich und begeben sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln zu ihren Vorfahren. Nehmen Sie uns mal mit auf diese Reise in die Vergangenheit, Judy…

Judy Bailey:

Es war mir immer sehr bewusst, dass mein Hintergrund -obwohl ich auf Barbados aufgewachsen bin - nicht auf Barbados angefangen hat. Wenn ich darüber nachdenke: Meine Geschichte, dass Europäer nach Afrika gegangen sind, Westafrika. Leute wurden versklavt, Leute wurden einfach „gekauft“ und mit genommen nach Barbados, um da Plantagen aufzubauen und Leute wurden schrecklich behandelt. Leute, die versklavt haben, haben einfach die Namen von die „Besitzer“ gegeben- also unsere Namen sind einfach verschwunden. Und das ist für mich sehr wichtig geworden in diesem Buch, in dieser Zeit, das wirklich ein bisschen nachzuforschen.

Patrick Depuhl:

Ich glaub auch als wir dann uns die Geschichte noch mal angeguckt haben auf Barbados: erstens haben viele die Überfahrt gar nicht überlebt, die sind einfach ins Meer geschmissen worden, wenn sie krank waren, oder wenn sie gestorben sind, weil die Verhältnisse so krass waren auf diesen Schiffen. Wenn sie es geschafft haben, haben Sie in Barbados durchschnittlich zwei bis drei Jahre überlebt, also es war wirklich so wie eine Maschine: ich gebrauch die kurz… Allein auf Barbados leben heute 287.000 Leute ungefähr- aber es sind 400.000 Sklaven auf die Insel gebracht worden, also mehr als Menschen da leben sind dahin gebracht worden und einfach so verbraucht worden als seien es keine Menschen.

In der Lesung, die an den Gottesdiensten heute zu Pfingsten zu hören ist, da schreibt Paulus im 1. Korintherbrief: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie, und alle wurden in dem einen Geist getränkt.“ Wenn Sie diesen Vers hören Judy, Ihre Vorfahren wurden aus Westafrika nach Barbados versklavt, wurden gedemütigt, gequält, manchmal sogar umgebracht wegen ihrer Hautfarbe. Was bedeutet Ihnen dieser Vers?

Judy Bailey:

Wenn ich diesen Vers höre, heißt das für mich: Wir sind gescheitert. Weil das ist nicht, was die Vergangenheit zeigt und leider teilweise auch heute nicht. Das ist für mich eine sehr klare Botschaft und Erinnerung, dass wenn besonders wir als Kirche, wenn wir sagen und wenn wir als Christen leben möchten, dann müssen wir das ganz ernst nehmen und Liebe zeigen. Wenn unser Glaube basiert ist auf Liebe, dann muss das wirklich in der Tat zu sehen, nicht nur mit Worte, aber in der Tat zu sehen und spürbar sein.

Patrick, Sie sind Nachfahre eines Mannes, der in einem so genannten „Lebensborn“-Heim der SS auf die Welt kam. Ihr Vater Michael war damit eines von rund 10.000 Kindern, die innerhalb von 10 Jahren bis 1945 in Häusern zur Welt kamen, die der Naziverbrecher Heinrich Himmler hatte bauen lassen, damit dort mehr „arische“ Kinder zur Welt kommen…

Patrick Depuhl:

Ja tatsächlich waren es etwa 10.000 Kinder, die in deutschen Heimen zur Welt gekommen sind. Es gab noch einige mehr über Europa verteilt, vor allem in Norwegen war das Stichwort: „Aufnordung der deutschen Rasse.“ Also mein Vater kam in einem Heim in der Nähe Bremens zur Welt und für uns war das dann relativ krass zu sehen: Sein Leben wurde als „wertes“ Leben beschrieben und das Leben vieler Sklaven und Schwarzen als „unwertes“ Leben. Hätten wir damals die Familie gehabt, die wir jetzt haben, mit drei Kindern, auch noch Kinder die heißen Levy, Noah, Jakob, jüdische Namen, die nicht „arisch“ sind -das wäre alles lebensgefährlich gewesen. Ich weiß noch, als ich der Expertin dieses Lebensborn-Heims, wo er geboren wurde, einen Brief schrieb: „Das haben wir Himmler ziemlich versaut“- […] Hey wären wir schwarz und weiss wären unsere Kinder grau, das sind sie nicht! Gott ist ein wunderbarer, bunter, lebendiger Gott und das müssen wir als Geschenk nehmen und eben nicht diese ganzen Trennungen und Teilungen und Einteilungen und Schubladen. Wo sein Geist uns zusammenbringt, da werden wir wirklich Menschen.

Ihr wählt für eure Konzerte immer wieder auch ganz besondere Orte und Anlässe, ihr habt zum Beispiel in einem Kinderhospiz gespielt, eine sterbende Frau in ihren letzten Stunden begleitet, ihr die Hand gehalten und ein Lied gesungen, weil sie sich das gewünscht hat. Ihr habt in Flüchtlingsunterkünften, bei Obdachlosen und sogar in Gefängnissen gesungen. Warum macht ihr das?

Patrick Depuhl:

Über die Jahre war es echt ein großes Vorrecht Konzerte in ganz vielen Ländern an ganz vielen Orten zu machen- und irgendwann hat man glaube ich auch die Idee zu sagen: Können wir nicht auch Konzerte da machen, wo man sie nicht erwartet? Das war schon in der Straßenbahn, aber eben auch an traurigen Orten, im Hospiz. Und dann schrieb später der Leiter des Hospizes: Ihr habt so viel Lebensfreude gebracht – wir dachten so wow! Wir haben in einer Friedhofskapelle gespielt. Oder einfach auf dem Bahnhof. Es war die Osternacht und ich weiß noch es haben Obdachlose in der ersten Reihe getanzt – und das sind schon ganz besondere Erinnerungen. Oder Gefängnisse haben Sie gerade angesprochen: in der Justizvollzugsanstalt Essen war das, da gab es einen Männerchor und der hat so mit Inbrunst gesungen, das war nicht nur vierstimmig, das war – ich weiss nicht - 23-stimmig, genau so viele wie das waren, aber es war so ansteckend: Und ich weiss noch diese eine Zeile: „Wie ist Versöhnung? So ist Versöhnung-wie ein Schlüssel im Gefängnis!“ Und ich dachte: Boah, das gibt diesem Lied noch mal eine ganz andere Kraft, einen ganz anderen Raum!

Zum Schluss: Sie strahlen trotz dieser zum Teil auch wirklich heftigen Lebenserfahrungen und beeindruckenden, manchmal vielleicht  auch -ich würde sagen - belastenden biographischen Stationen eine Leichtigkeit und Lebensfreude aus, die wirklich ansteckend ist. Wo kommt das her?

Judy Bailey :

Ich glaube es kommt von diesem Durchleben von schweren Sachen mit Gott mittendrin und das Wissen, dass Gott da ist und dass es weitergeht und diese Hoffnung ist irgendwie in mein Herz gepflanzt.

Vielen, vielen Dank für das Gespräch.

Sehr, sehr gerne.

*Patrick Depuhl und Judy Bailey: Das Leben ist nicht schwarz-weiß. Geschichten von Wurzeln, Welt und Heimat, adeo Verlag Asslar, 2021, Seite 190.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37740
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