SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

04JUN2023
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Holy, holy / Dove descend / Soft and slowly / When I’m near the end 

„Heilig, heilig, die Taube schwebt herab, sanft und langsam, wenn ich fast am Ende bin“. Was wie ein alter Choral klingt, ist tatsächlich ein ziemlich aktueller Song der britischen Rockpopgruppe Coldplay. Seit mittlerweile 25 Jahren spielen die vier Gründungsmitglieder Chris Martin, Jonny Buckland, Guy Berryman und Will Champion miteinander. In einem WG-Zimmer haben die vier angefangen. Heute füllen sie Stadien. Immer noch aber beherrscht die Gruppe den kleinen, intimen Song. Wie When I need a friend.

Der Sänger Chris Martin erzählt, dass der Song von seinem Interesse an Kirchen- und Gospelmusik inspiriert ist. Musik, die Martin bereits als Kind hörte. Vielleicht hat er dabei an das Heilig, heilig, heilig aus der Deutschen Messevon Franz Schubert gedacht.

 

Musik 3 

Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr! / Heilig, heilig, heilig, heilig ist nur er! / Er, der nie begonnen, er, der immer war, / ewig ist und waltet, sein wird immer dar.

Schuberts Heilig und Coldplays When I need a friend: Zwei musikalische Geschwister, die ich miteinander reden höre. Schubert sagt: „Ich stehe auf Drei-Viertel-Takt. Da kommt viel Ruhe rein. Und dann auch etwas Leichtes, etwas Tänzerisches.“ Und Coldplay sagt: „Ich meditiere lieber im Vier-Viertel-Takt. So wie der Atem und der Herzschlag.“ Einig sind sich Schubert und Coldplay aber beim „Heilig“. Das ist ein erhabenes und großes Wort. Ich denke: Es sind beides Volkslieder auf ihre Weise. Es sind Lieder mit schlichter Melodie, die ins Ohr geht. Und doch unterscheidet sie der Text. In Schuberts Heilig schreibt der Textdichter Johann Philipp Neumann ganz auf biblische Texte bezogen von der Größe Gottes: Er kann gar nicht genug „Heilig“ singen. Bei Coldplay klingt das ganz anders.

 

Musik 2 

Holy, Holy / Dark defend / Shield me should me / When I need a friend

Da singt jemand, dem es dreckig geht. Jemand, der sagt: Ich bin fast am Ende. Die Dunkelheit muss zurückgedrängt werden. Ich brauche Unterstützung. Brauche einen Freund, eine Freundin. Was ich faszinierend finde: Der Text scheint ganz auf den Menschen bezogen. Seine Situation. Seine Not. Und greift doch unüberhörbar religiöse Bezüge auf. Da soll die Taube niederschweben, da brauche ich Schutz und Schild, da regiert die Liebe. When I need a friend weiß: Ich kann mein Leben nicht alleine auf die Reihe kriegen. Ich brauche andere an meiner Seite. Brauche Unterstützung.

Sicher: Einen romantischen Gott, wie bei Schubert, den kennt Coldplay nicht. Einen Gott, der immer da ist und begleitet und unterstützt. Aber When I need a friend besteht auf der Hoffnung, dass Abgründe, Dunkelheit und Gewalt nur das vorletzte Wort haben. Langsam, ganz zärtlich, so die Bitte, setzt sich die Liebe durch. Immer dann, wenn ich eine Freundin, einen Freund finde. Ich denke an die Bekannte, die ihren Mann verloren hat. Und Unterstützung erfährt. Ich denke an das Lied, das ich im Radio höre und das mich tröstet. Ich denke an die Mail, in der steht, dass ich etwas gut gemacht habe. Das sind wunderbare Moment. Die haben Heiliges. Und ich glaube: In ihnen zeigt sich Gott.

Musik 1 (1:12-1:55)

Slowly, slowly / Violence end / Love reign o’er me / When I need a friend

 

 

Text und Musik: Coldplay / Guy Berryman / Jonny Buckland / Will Champion / Chris Martin (2019)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37715
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