SWR3 Gedanken

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24MAI2023
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Auf dem Heimweg aus dem Urlaub bin ich den Brenner, den Grenzpass zwischen Italien und Österreich, zum ersten Mal mit dem Zug gefahren- und musste etwas mehr als Grenzwertiges erleben:

Kurz vor dem Tunnel betreten drei italienische Grenzbeamte unser Zugabteil. Von den rund 40 anderen Passagieren im Abteil wird niemand kontrolliert. Aber bei unserem Vierersitz bleiben sie stehen: „Die Ausweise bitte.“ Ich denke mir nichts dabei und zeige meinen Perso. Genauso wie die Frau mit weißer Haut gegenüber und der Mann mit schwarzer Haut daneben. Während die Frau und ich den Ausweis nach wenigen Sekunden wieder in Händen halten, wird bei dem Schwarzen Mann weiterrecherchiert. Strenge Blicke. Und dann: Pass zurück. Alles in Ordnung. Eine Frau, die ein niederländisches Buch liest, sagt: „I feel ashamed.“ Und so fühle ich mich auch: beschämt. Ich überlege, ob ich den Mann ansprechen soll. Und gebe mir einen Ruck, als der Zug weiterfährt nach Österreich. „Passiert sowas öfter?“, frage ich ihn. Er erwidert traurig: „Jeden Tag. Das ist Diskriminierung. Das ist Europa“.

Die Frau gegenüber atmet tief aus. Ihr kommen die Tränen. Sie erzählt, dass ihr Vater, ebenfalls Migrant, auch Alltagsrassismus erfahren musste. Und dass das nun in ihr hochkommt. Betretenes Schweigen. Wir fahren über die Grenze. Und dann geht es von vorne los: Zwei Grenzbeamte aus Österreich kommen ins Abteil. Wieder bleiben sie bei uns stehen- nur bei uns. Wieder zeigen die Frau und ich schnell unsere Papiere – wieder wird nur der Ausweis des Schwarzen Mannes ins Visier genommen. Wieder bleibt er freundlich. Als die Grenzbeamten weg sind, schaut er traurig auf den Boden. Für mich waren das am Brenner Grenzüberschreitungen, die mich noch lange nachdenklich machen.

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