SWR3 Gedanken

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23MAI2023
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Auf jedem zweiten Buch in meinem Regal prangt der Aufkleber „Bestseller“. Auf Straßenlaternen sehe ich unterwegs oft Abzeichen vom 1. FCK, Mainz 05 oder BVB 09. Und auf Autos: „Baby an Bord.“ Überall kleben sie: Sticker. Menschen demonstrieren damit mal weltanschauliche, mal witzige Einstellungen. Umso verblüffter war ich, als auf einer Geburtstagsfeier ein Kollege* ganz eigenartige Sticker auf dem Tisch verteilte. Denn darauf stand das Wort: DEMUT. Eine etwas aus der Mode gekommene Tugend, dachte ich. Warum verteilt er sie hier? Und wie kommt er drauf? Er findet, dass man den Sticker mal an so einige Kirchentüren kleben sollte. Als Erinnerung für das Bodenpersonal, das niemals sich selbst feiern sollte, sondern immer den, von dem alles Leben kommt. Und als Erinnerung daran, dass niemand gedemütigt werden darf – viel zu lange hat das die Kirche mit Menschen gemacht. Ihr Gründer Jesus Christus hingegen wollte immer das Gegenteil: Menschen stark machen, aufrichten, ihnen Hoffnung schenken. Der Demut-Sticker ist auch, aber nicht nur in der Kirche als Erinnerung notwendig: Mir fallen viele Orte ein, wo ich ihn gerne mal drankleben würde: Banken etwa, oder Kleiderständer mit Markenklamotten. Firmen, die mit Produkten Geld machen, für die andere oft unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften. Oder glitzernde Konzernzentralen privater Altenheimbetreiber, errichtet auf dem Rücken von Pflegekräften, die sich den Buckel krumm machen. Da überall fehlt Demut.

Aber auch mir selbst würde ich einen Sticker auf den Spiegel kleben: Immer dann, wenn ich denke, dass ich der Nabel der Welt bin. Denn davor ist niemand gefeit. Im Lateinischen heisst Demut „humilitas“. Da steckt auch das Wort „Humor“ drin. Sich selbst nicht so ernst nehmen, mal über sich lachen können, auch das ist eine Facette der Demut. Außerdem steckt in „humilitas“ das Wort Humanität – Menschlichkeit. Die Einsicht, dass wir alle als Menschen aufeinander angewiesen sind. Ich hab mir bei meinem Kollegen also gleich mal eine Packung Sticker für mich und andere bestellt.

*Fabian Schweer und Tobias Otte, Bistum Osnabrück

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37691
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