Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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19MAI2023
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„Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ So steht es in der Straßenverkehrsordnung, Paragraf eins. Wie oft habe ich schon erlebt, dass dagegen verstoßen wird. Und wie oft habe ich leider selbst schon dagegen verstoßen. Weil ich ungeduldig war und deshalb schneller gefahren bin, als es angemessen gewesen wäre. Oder weil ich meinte, mir mehr Rechte herausnehmen zu können als ich anderen zugestanden habe. Zurück geblieben bin ich eigentlich immer unzufrieden. Ganz anders, wenn ich höflich war, und beispielsweise jemand aus einer unübersichtlichen Stelle rausfahren ließ. Das Prinzip dazu ist ganz simpel. Ich muss mich bloß in den anderen hineinversetzen und kapieren, was mir in dieser Situation helfen würde. Und schon funktioniert das mit der Rücksicht. Warum ist das aber so oft die Ausnahme?

Was im Straßenverkehr passiert, ist für mich ein ziemlich passendes Bild, wie es auch sonst im Zusammenleben unter uns zugeht. Da regt sich einer auf, weil es ihm nicht schnell genug geht, und er merkt gar nicht, dass er damit für andere zu einem Problem wird. Nicht selten kriege ich abstruse Ausreden zu hören, nur damit mein Gegenüber seinen eigenen Fehler nicht zugeben muss. Bezeichnend finde ich in diesem Zusammenhang auch die Reaktion einer Neunzehnjährigen. Auf die Frage, wie viel sie in der Woche zu arbeiten bereit wäre, gibt sie zur Antwort: Vierzig Stunden bestimmt nicht, das mache ja den Körper kaputt. Da konnte ich mir ein Lachen zuerst nicht verkneifen. Bis ich gemerkt habe, dass sich dahinter auch jene Form von Egoismus verbirgt, die unsere Gesellschaft schleichend durchsetzt. Es gibt ja nicht nur das Offensichtliche, wo eine Person direkt einem anderen schadet, weil sie zuerst an sich denkt und andere übersieht. Es gibt auch eine tieferliegende Haltung, die davon geprägt ist, dass sich alles nur um die eigenen Wünsche drehen muss. Aber ich bin eben nicht allein auf der Welt – wie Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel. Menschliches Leben funktioniert nur mit anderen zusammen. Es hilft dann einfach, wenn ich mitdenke, mich in andere hineinversetze, mehr zuhöre als spreche, Rücksicht nehme und Schwächeren helfe. Und dafür ist der Straßenverkehr ein gutes Beispiel. Und zudem ein gutes Lernfeld für Christen, wenn sie dem Anspruch der Nächstenliebe gerecht werden wollen. Denn: Das Zusammenleben mit den Nächsten erfordert eben auch „ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37655
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