SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

19MAI2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Ach wissen Sie, das größte Wunder sehe ich, wenn ich aus dem Fenster schaue …“ hat neulich ein älterer Herr zu mir gesagt, den ich im Pflegeheim besucht habe. Und er hat mir erklärt:  Für ihn ist es einfach ein Wunder, dass es jeden Frühling überall wieder anfängt zu wachsen. Dass die Bäume wieder blühen und Blätter bekommen. Dass die Blumen wieder anfangen zu wachsen. Das Gras, Die Büsche. Ja selbst das Unkraut.

Das hat mich beeindruckt. Sicher: Der Frühling ist auch meine Lieblingsjahreszeit. Aber irgendwie ist er für mich doch auch normal geworden. Das ist halt so, dass es im Frühling wieder losgeht. Und er ist nicht nur normal geworden. Manches am Frühling kann mich sogar nerven: Jetzt muss ich wieder Rasenmähnen und was am allerbesten wächst ist das Unkraut zwischen meinen Erdbeeren.

Frühling ist schön, aber eben auch normal. Und es lässt sich alles daran auch ganz problemlos wissenschaftlich erklären. Jahreszeiten, Lebenszyklus, Pflanzenwachstum und so weiter. Aber als ich so mit dem älteren Herrn am Fenster seines Zimmers im Pflegeheim saß, habe ich begriffen: Der Mann hat völlig Recht. Trotz allem ist und bleibt der Frühling ein Wunder. Das erzählen auch schon die Menschen, die die alten Gebete in der Bibel geschrieben haben. In einem heißt es: Gott, Du tränkst die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst, dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz glänze vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke.

Die Menschen zur Zeit der Bibel haben alles ganz direkt mit Gott in Verbindung gebracht. Deshalb war für sie auch alles, was ihnen die Natur gegeben hat, ein direktes Geschenk von Gott an die Menschen. Ein Wunder eben.

Irgendwie finde ich das eine schöne Vorstellung. Und ich meine: die letzten Jahre haben uns deutlich gezeigt, dass Frühling, Sommer, Herbst und Winter gar nicht so selbstverständlich sind, und wie zerbrechlich unser Leben doch ist. Wie schlimm es ist, wenn das Klima sich verändert, und wenn Kriege alles zerstören, was Menschen auf ihren Feldern und in ihren Gärten anbauen.

Mir hat es gutgetan, mit dem älteren Herrn aus seinem Fenster im Pflegeheim zu schauen, und den Frühlingsanfang wieder ein bisschen mehr als ein Wunder anzusehen.  Ja, ich mag Rasenmähen nicht besonders und das Unkraut ärgert mich jeden Tag. Und trotzdem ist es eigentlich doch wunderbar, dass alles wieder wächst und blüht. Gott sei Dank.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37646
weiterlesen...