SWR1 Begegnungen

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14MAI2023
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Gerlinde Kretschmann Foto: Staatsministerium BW

… und mit Gerlinde Kretschmann. Ich treffe mich mit der Katholikin und Politikerin, mit der Mutter und Großmutter, weil sie eine ganz besondere Geschichte mit der Kirche hat. Während viele sich heute fragen: „Will ich noch zu dieser katholischen Kirche gehören? Soll ich bleiben oder lieber gehen?“, hat Gerlinde Kretschmann beides getan: Sie ist aus der Kirche ausgetreten und sie ist zurückgekommen. Davon erzählt sie in dem Buch „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“ [1].

Gerlinde Kretschmann war 27, als sie die Kirche verlassen hat.

Zu diesem Zeitpunkt war das für mich nicht mehr schwierig, weil das für mich schon ganz lange klar war, dass ich diesen Schritt mache. Die Kirche, die war nicht mehr existent in meinem Leben.

Eigentlich erstaunlich. Denn das katholische Leben, mit all seinen Ritualen und Festen hat ihre Kindheit und Jugend auf dem Dorf in Oberschwaben geprägt. Und ihre Schulzeit hat sie auf einem Gymnasium der Franziskanerinnen erlebt. Doch gleichzeitig hat Gerlinde Kretschmann schon früh gespürt, dass es Dinge gab, die ihr in der katholischen Kirche ganz und gar nicht gefallen haben.

Also als Kind hat mich als erstes wahnsinnig gestört -die Beichte. Ich konnte da überhaupt nichts mit anfangen. Ich hatte da immer ein ungutes Gefühl, weil ich immer gedacht habe: Nein, das bin ich nicht. Warum soll ich jetzt beichten? Ich habe unsere Katze geärgert und das als Sünde vor Gott. Also das war mir nie nachvollziehbar.

Nach der Erstkommunion wollte sie Ministrantin werden, da war sie knapp 10 Jahre alt – und auch da war das ungute Gefühl:

Ich war wirklich ein frommes Kind. So habe ich mich selber gesehen. Und ich wusste immer, ich kann das. Ich würde das so aus vollem Herzen machen. Aber nein, meine Brüder wurden Ministranten. Also das war schon auch was, wo ich dann dachte, das ist einfach nicht in Ordnung.

Nach und nach ist ihre Beziehung zur Kirche abgebrochen, weil es keine Berührungspunkte mehr für Gerlinde Kretschmann gab. Und dann hat sie entschieden zu gehen. Es war eine Zeit, in der sie mit vielen anderen Dingen befasst war.

Mit meinem Beruf und mit meinem Mann und mit Freundschaft, mit anderen Sachen. Es kamen andere Rituale dazu, die mir damals wichtiger waren; und reisen und fortgehen und einfach die Welt wenigstens ein Stückchen weit kennenlernen.

Die Kirche hat sie nicht vermisst; und trotzdem gab es einen Punkt, an dem sie ihr über die Jahre treu geblieben ist. Genauer gesagt, nicht der Kirche, sondern dem Kirchenraum. Und zwar wegen der Kunst.

Bei uns in Oberschwaben ist ja vor allem Barock und das hat mich schon immer fasziniert. Und was ich auch heute noch immer dabeihabe, ist so ein Heiligenlexikon. Und wenn ich mal einen Heiligen nicht definieren kann, dann schaue ich immer in meinem Lexikon nach, was die bedeuten, für was sie stehen. Also das war eigentlich immer die Beziehung, die nie abgebrochen ist.

Als junge Frau ist Gerlinde Kretschmann bewusst aus der katholischen Kirche ausgetreten. Weil sie mit der Kirche nichts mehr anfangen konnte. Ihr Weg zurück in die Kirche begann, als sie mit der Familie wieder in die Heimat gezogen ist, in die Nähe von Sigmaringen. Ihr Elternhaus steht dort direkt unterhalb der Kirche.

Wenn man dann das Glockengeläut wieder hört - das sind dann schon Sachen, wo die Kirche auch räumlich wieder näherkommt.

Ihre Tochter hat dann den Anfang gemacht. Sie wollte unbedingt in den Religionsunterricht gehen und auch Erstkommunion feiern. Das war allerdings gar nicht so einfach, denn: Die Tochter war nicht getauft und die Kretschmanns waren zu diesem Zeitpunkt nicht in der Kirche.

Für diesen jungen Pfarrer war das natürlich dann schon schwierig. Und dann habe ich aber gleich zu ihm gesagt, also das muss er wissen, wenn meine Tochter das will, kämpf ich dafür, dass sie getauft wird und dann auch zur Erstkommunion darf.

Und so ist es dann auch gekommen. Gerlinde Kretschmann erinnert sich noch sehr genau an den Tag, als ihre Tochter getauft wurde:

Also da hat Irene dann schon ihr Kommunionkleid angehabt. Und dann durfte sie natürlich die ganzen Antworten, die normalerweise die Paten sagen, durfte sie selber und - Sie sehen, jetzt bin ich so gerührt. Also das war schon sehr beeindruckend und das war ein richtiges Fest.

Für sie selbst sollte der Weg zurück in die Kirchengemeinde aber noch viele Jahre dauern. Er führte schließlich über den Kirchenchor. Den Sängerinnen und Sängern war es egal, ob auch Evangelische oder Konfessionslose mitgesungen haben.

Also da hat nie irgendjemand irgendwas gesagt. Und so bin ich wieder so langsam und so für mich in den Schritten, die für mich gut waren, bin ich dann da wieder so reingewachsen.

Und im Alter von 51 Jahren war es soweit:

Dann dachte ich: Nein. Also jetzt will ich da wieder richtig dazugehören.

Im Rückblick sieht sie ihren Kirchenaustritt noch immer als richtig und notwendig an. Nur deshalb könne sie sich heute in aller Freiheit wieder in der Kirche engagieren, sagt sie.

Diese Gemeinschaft muss immer auf freiwilliger Basis sein. Ich mach das jetzt aus freiem Willen und ich mach das, weil ich das jetzt will!

Es ist jetzt ziemlich genau 25 Jahre her, seit Gerlinde Kretschmann wieder in die Kirche eingetreten ist. Vieles ist seither ans Licht gekommen. Deswegen möchte ich zum Schluss wissen: Gehört sie heute immer noch gerne und freiwillig zu dieser Gemeinschaft? Oder denkt sie womöglich darüber nach, nochmals auszutreten?

Ich würde mich als eine sehr stark zur Treue neigende Person bezeichnen. Nein, ich habe den Schritt gemacht. Und ich sage immer, es ist wie mit der Ehe in guten und in schlechten Zeiten. Und so ist es mit der Kirche auch. Also ich hoffe und ich denke das auch, dass die Kirche, die muss das einfach verarbeiten und überwinden. Aber was hätte ich jetzt davon, wenn ich austreten würde? Das ist wie mit der Politik auch, ich kann doch nur Einfluss nehmen, wenn ich dabei bin.

 

[1] „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“, Hirzel Verlag

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37642
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